Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Bereitschaftsdienstordnung der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen (juris: KÄVBerDO HE). Heranziehung von Privatärzten zu Beiträgen zur Finanzierung des Bereitschaftsdienstes. Zweifel an hinreichender Ermächtigungsgrundlage. zu den diesbezüglichen Anforderungen des Verfassungs-, Bundes- und Landesrechts
Leitsatz (amtlich)
1. Es bestehen ernstliche Zweifel daran, dass § 3 Abs 3 S 1 und § 8 der Bereitschaftsdienstordnung der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen in der von der Vertreterversammlung am 25. Mai 2013 beschlossenen Fassung, zuletzt geändert am 30. März 2019, auf einer hinreichenden höherrangigen Ermächtigungsgrundlage beruhen, soweit damit Privatärzte, die nicht Mitglieder der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen sind, zu Beiträgen zur Finanzierung des Bereitschaftsdienstes der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen herangezogen werden sollen.
2. Zu den Anforderungen des Verfassungs-, Bundes- und Landesrechts an die Regelung der Teilnahme- und Beitragspflicht von Privatärzten an einem Bereitschaftsdienst der Kassenärztlichen Vereinigung.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Marburg vom 20. Dezember 2021 aufgehoben und die aufschiebende Wirkung der Widersprüche vom 17. Oktober 2019, 27. März 2020 und 28. Oktober 2021 gegen die Bescheide der Antragsgegnerin vom 18. September 2019, 9. März 2020 und 6. Oktober 2021 bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache angeordnet.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten beider Instanzen zu tragen.
Der Streitwert wird auf 1.875,00 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um die aufschiebende Wirkung der Widersprüche gegen Beitragsfestsetzungen für den ärztlichen Bereitschaftsdienst der Antragsgegnerin (im Folgenden ÄBD) für die Jahre 2019 bis 2021 in Höhe von 1.500 €, 3.000 € und 3.000 € bzw. in Höhe von insgesamt 7.500 €.
Der Antragsteller ist als Arzt niedergelassen mit Praxissitz in A-Stadt. Er ist ausschließlich privatärztlich tätig und kein Mitglied der Antragsgegnerin.
Mit Bescheid vom 18. September 2019 setzte die Antragsgegnerin Beiträge zur Finanzierung des ÄBD für die Quartale III und IV/2019 in Höhe von insgesamt 1.500,00 € fest.
Hiergegen legte der Antragsteller unter Datum vom 16. Oktober 2019, bei der Antragsgegnerin eingegangen am 17. Oktober 2019, Widerspruch ein.
Mit Bescheid vom 9. März 2020 setzte die Antragsgegnerin Beiträge zur Finanzierung des ÄBD für die für die Quartale I bis IV/20 in Höhe von insgesamt 3.000,00 € fest.
Hiergegen legte der Antragsteller unter Datum vom 25. März 2020, bei der Antragsgegnerin eingegangen am 27. März 2020, Widerspruch ein.
Mit Bescheid vom 6. Oktober 2021 setzte die Antragsgegnerin Beiträge zur Finanzierung des ärztlichen Bereitschaftsdienstes für die Quartale I bis IV/21 in Höhe von insgesamt 3.000,00 € fest.
Hiergegen legte der Kläger unter Datum vom 26. Oktober 2021, eingegangen bei der Antragsgegnerin am 28. Oktober 2021, Widerspruch ein.
Zur Begründung seiner Widersprüche trug der Kläger vor, dass sich aus dem Hessischen Heilberufsgesetz (HeilBG) keine Verpflichtung zur Teilnahme an dem ÄBD der Antragsgegnerin ergebe. Im Heilberufsgesetz sei geregelt, dass Privatärzte berufsrechtlich zum Notfalldienst verpflichtet seien. Das gesamte Satzungsrecht sei, sofern es für Privatärzte in Anspruch genommen werde, unwirksam. Dies betreffe insb. § 8 Abs. 3 der Bereitschaftsdienstordnung der Antragsgegnerin (BDO). Durch Satzungsrecht könne nicht die aufschiebende Wirkung der Widersprüche aufgehoben werden.
Den mit Schreiben vom 4. Dezember 2020 gestellten Antrag auf prozentuale Beitragsbemessung gem. § 8 Abs. 3 BDO lehnte die Antragsgegnerin mangels Erbringung eines Nachweises über das jeweilige Jahresbruttoeinkommen trotz mehrfacher Erinnerung mit Bescheiden vom 15. September 2021 ab. Hiergegen legte der Antragsteller keinen Widerspruch ein.
Die Antragsgegnerin sah zunächst von der Vollstreckung der Beitragsbescheide bis zum 31. Dezember 2020 ab. Die Antragsgegnerin erinnerte dann mit Schreiben vom 25. Oktober 2021 und 17. November 2021 an die Beiträge für die Jahre 2019 und 2020 in Höhe von insgesamt 4.500,00 €. Einen Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung der Beitragsbescheide für die Quartale III/19 bis IV/21 lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 18. November 2021 ab.
Der Antragsteller hat am 2. Dezember 2021 den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz bezüglich der Beitragsbescheide für die Jahre 2019 bis 2021 (Quartale III/19 bis IV/21) gestellt.
Vor dem Sozialgericht hat er vorgetragen, im Rahmen der Musterverfahren seien bereits umfassende rechtliche Hinweise erteilt worden, wonach erhebliche Bedenken bestünden, dass die Beitragsbemessung im Rahmen der reinen privatärztlichen Tätigkeit unterschiedlich erfolge als bei den Vertragsärzten, die neben der vertragsärztlichen Praxis eine privatärztliche Praxis betrieben. Es bestünden Bedenken, dass die umsatzbezogene Beitragsfestsetzung entsprechend den Bes...