Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Statthaftigkeit der Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe. Notwendigkeit der Beiordnung eines Rechtsanwaltes. kostenloser Rechtsschutz. Ehepartner eines Gewerkschaftsmitglieds. Umfang der Bevollmächtigung der Vereinigungen der § 73 Abs 2 S 2 Nrn 5-9 SGG. Beistand

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe ist nicht gemäß § 172 Abs 3 Nr 2 SGG ausgeschlossen, wenn die ablehnende Entscheidung damit begründet wird, dass es an der Notwendigkeit zur Beiordnung eines Rechtsanwalts fehle, weil unentgeltlicher gewerkschaftlicher Rechtsschutz in Anspruch genommen werden könne.

2. Prozesskostenhilfe kann nicht deshalb versagt werden, weil der Ehefrau eines Gewerkschaftsmitglieds satzungsrechtlich unentgeltlicher Rechtsschutz eingeräumt ist, denn die Bevollmächtigung der in § 73 Abs 2 S 2 Nrn 5 bis 9 SGG genannten Organisationen erstreckt sich nur auf deren Mitglieder, nicht auf die Ehefrauen von Mitgliedern.

3. Die Möglichkeit, mit einer Person als Beistand in der mündlichen Verhandlung zu erscheinen (§ 73 Abs 7 SGG) schließt nach § 73a Abs 2 SGG die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts nicht aus.

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Marburg vom 19. August 2010 aufgehoben und das Antragsverfahren zur erneuten Entscheidung an das Sozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

In dem vor dem Sozialgericht Marburg anhängigen Hauptsacheverfahren streiten die Beteiligten um die Höhe des der Klägerin zuzuerkennenden Grades der Behinderung.

Bereits mit Klageerhebung durch Schriftsatz vom 01. Juli 2010 hatte die Klägerin die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt.

Diesen Antrag hat das Sozialgericht mit dem angegriffenen Beschluss vom 19. August 2010 abgelehnt, weil die Notwendigkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts nicht bestehe. Weder sei der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten, noch erscheine die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich. Die Klägerin könnte sich im Klageverfahren kostenfrei durch einen Prozessbevollmächtigten der IG Metall vertreten lassen, denn ihr Ehemann sei Mitglied dieser Gewerkschaft. Gemäß § 27 der Satzung der IG Metall könne die kostenfreie Unterstützung durch Rechtsschutz im gleichen Umfang wie von dem Mitglied auch von dessen Ehepartner genutzt werden. Die Vertretung der Klägerin durch einen Gewerkschaftsvertreter sei von vornherein ausreichend gewesen. Für eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe ohne Beiordnung eines Rechtsanwalts bestehe kein Bedürfnis, da das vorliegende Klageverfahren für die Klägerin gemäß § 183 S. 1 SGG gerichtskostenfrei sei.

Die Klägerin beantragt (sinngemäß),

den Beschluss des Sozialgerichts Marburg vom 19. August 2010 aufzuheben und ihr Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren unter Beiordnung von Rechtsanwältin B., B-Straße, A-Stadt zu bewilligen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

Zwar ist nach § 172 Abs. 3 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eine Beschwerde ausgeschlossen gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe, wenn das Gericht ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe verneint. Ein derartiger Fall liegt auch vor, wenn das Gericht die Gewährung von Prozesskostenhilfe mit der Begründung ablehnt, dass ein Kläger sich von einer nach § 73 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 bis 8 vertretungsbefugten Vereinigung vertreten lassen kann (Bayerisches LSG, Beschluss vom 06.09.2010, L. 7 AS 532/10 B PKH, zit. nach juris), denn ein Mitglied einer Vereinigung muss seine satzungsmäßigen Rechte auf kostenlose Prozessvertretung ausschöpfen. Dieser satzungsmäßige Anspruch auf kostenlosen Rechtsschutz rechnet zum Vermögen des Antragstellers - der Antragsteller ist daher nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen in der Lage, die Kosten der Prozessführung aus seinem Vermögen aufzubringen ( BSG, Beschluss vom 12.03.1996, 9 RV 24/94, vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, Kommentar, 9. Aufl. 2008, § 73a Rn. 4). Die Ablehnung der Gewährung von Prozesskostenhilfe erfolgt in einem solchen Fall also wegen Verneinung der wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe. Dies könnte auch im Falle einer Antragstellerin angenommen werden, wenn diese unentgeltlichen Rechtsschutz als Ehegatte eines Gewerkschaftsmitglieds beanspruchen könnte und einer solchen Vertretung keine berechtigten sachlichen oder persönlichen Gründe entgegenstünden (vgl. zu diesem Gesichtspunkt BSG SozR 3-1500 § 73 a SGG Nr. 4).

Vorliegend hat das Sozialgericht den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe jedoch ausdrücklich nicht wegen der fehlenden Bedürftigkeit der Antragstellerin abgelehnt, sondern wegen der fehlenden Notwendigkeit zur Beiordnung eines Rechtsanwalts und fehlendem Rechtsschutzbedürfnis für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ohne Beior...

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