Orientierungssatz

Parallelentscheidung zu dem Urteil des LSG Darmstadt vom 14.12.1995 - L 5 V 1221/94, das vollständig dokumentiert ist.

 

Verfahrensgang

SG Frankfurt am Main (Urteil vom 09.12.1994; Aktenzeichen S-11/V-2967/93)

 

Tenor

I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 9. Dezember 1994 wird zurückgewiesen.

II. Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Entziehung von Versorgungsleistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

Der 1936 geborene Kläger ist ausländischer Staatsangehöriger und hat seinen Wohnsitz in der Republik Kroatien, der ehemaligen Teilrepublik der früheren Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien (SFRJ). Er beantragte im Juni 1988 bei dem Beklagten die Gewährung von Beschädigtenversorgung mit der Begründung, er sei als Kind durch zurückgelassenes Kriegsmaterial der deutschen Wehrmacht am 15. Juni 1944 verwundet worden und habe dadurch das rechte Auge verloren und sei auf dem linken Auge erblindet. Er arbeite in seinem Heimatstaat als Telefonist und erhalte dort eine Rente als ziviles Kriegsopfer. Der Kläger legte u.a. den Bescheid über die Bewilligung der Rente als Zivilopfer in Kroatien ab dem 1. Juli 1968 vor sowie einen Zahlungsbeleg über diese Rente für den Monat Juni 1988.

Mit Bescheid vom 28. Januar 1991, abgesandt nach einem Aktenvermerk am 27. Februar 1991, erkannte der Beklagte als Schädigungsfolgen nach dem BVG

“Verlust des rechten Auges, Sehverlust am linken Auge (Blindheit)”

an und bewilligte dem Kläger als Kann-Leistung gemäß § 64 e Abs. 1 bzw. § 64 Abs. 2 BVG Beschädigtenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 100 v.H. ab dem 1. Oktober 1988 nebst Schwerstbeschädigtenzulage Stufe I und Pflegezulage Stufe III.

Mit Bescheid vom 11. Januar 1993, abgesandt nach einem Aktenvermerk am 11. Januar 1993, nahm der Beklagte den Bewilligungsbescheid mit Wirkung ab dem 1. Februar 1993 ohne vorherige Anhörung zurück. Zur Begründung führte er aus, der Bewilligungsbescheid vom 28. Januar 1991 sei fehlerhaft. Nach § 7 Abs. 2 BVG sei das BVG nicht auf Kriegsopfer anzuwenden, die - wie der Kläger - aus derselben Ursache einen Anspruch auf Versorgung gegen einen anderen Staat besitzen, mit dem keine anderslautende zwischenstaatliche Vereinbarung getroffen wurde. Das Interesse der Allgemeinheit an der Beseitigung des rechtswidrigen Bescheides sei vorliegend höher zu bewerten als das Interesse des Klägers an der Aufrechterhaltung des ihn begünstigenden Bescheides. Zugunsten der Interessen des Klägers sei zwar berücksichtigt worden, daß der Grund für das Zustandekommen des rechtswidrigen Bescheides allein in den Verantwortungsbereich der deutschen Verwaltung falle, daraus ergebe sich jedoch nicht die Schutzwürdigkeit dieses Vertrauens. Im Rahmen der gebotenen Ermessensprüfung sei die persönliche Situation des Klägers gewürdigt worden. Die niedrige Höhe der Versorgung in dessen Heimatstaat könne nicht zu einer Ermessensausübung zugunsten des Klägers führen, weil auf diese wirtschaftlichen Verhältnisse deutsche Verwaltungsentscheidungen keinen Einfluß hätten. Mit seinem Widerspruch vom 24. März 1993, eingegangen bei dem Beklagten am 27. März 1993, machte der Kläger geltend, durch die Rücknahme der deutschen Versorgung sei er zusammen mit seiner Familie in eine sehr schwierige Lage versetzt worden. In seinem Lebensalter sei er nicht in der Lage, die für das Leben erforderlichen Mittel aufzutreiben, und zwar gerade wegen seiner Schädigung.

Mit Widerspruchsbescheid vom 17. August 1993 wies der Beklagte den Widerspruch zurück und führte u.a. aus, es sei ferner geprüft worden, ob im Rahmen des pflichtgemäßen Ermessens ganz oder teilweise von der Entziehung der laufenden Leistungen abgesehen werden könne. Es sei bekannt, daß der Kläger schon in jungen Jahren schwer beschädigt worden sei und in schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen lebe. Diese Umstände würden bei Sozialleistungen vielfach zutreffen und könnten bei allem Verständnis nicht dazu führen, daß lebenslang fortgesetzt werde, was nach dem Gesetz nicht hätte sein dürfen.

Gegen den ihm unter Vermittlung der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Zagreb mittels eingeschriebenem Brief/Rückschein am 30. August 1993 zugeleiteten Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 19. November 1993 (Eingang) beim Sozialgericht Frankfurt am Main Klage erhoben und vorgetragen, die Entziehung der Versorgungsleistungen sei rechtswidrig und habe nicht erfolgen dürfen. In seinem Fall sei insbesondere zu berücksichtigen, daß er blind sei und die Hilfe anderer Personen benötige und der Unterhalt für ihn selbst und seine Familie beträchtlich höher sei als für andere normale Leute.

Mit Urteil vom 9. Dezember 1994 hat das Sozialgericht den angegriffenen Bescheid und den Widerspruchsbescheid aufgehoben. In den Entscheidungsgründen hat es im wesentlichen ausgeführt, eine...

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