Orientierungssatz
Parallelentscheidung zu dem Urteil des LSG Darmstadt vom 14.12.1995 - L 5 V 1221/94, das vollständig dokumentiert ist.
Verfahrensgang
SG Frankfurt am Main (Urteil vom 28.10.1994; Aktenzeichen S-11/V-2434/93) |
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main
vom 28. Oktober 1994 wird zurückgewiesen.
II. Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Entziehung von Versorgungsleistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Der 1936 geborene Kläger ist ausländischer Staatsangehöriger und hat seinen Wohnsitz in der Republik Kroatien, der ehemaligen Teilrepublik der früheren Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien (SFRJ). Er beantragte im August 1988 bei dem Beklagten die Gewährung von Beschädigtenversorgung mit der Begründung, er sei als Kind durch zurückgelassenes Kriegsmaterial der deutschen Wehrmacht am 2. Februar 1944 verwundet worden und habe dadurch sein linkes Auge verloren, sei auf dem rechten Auge erblindet und habe Teile der Finger der linken Hand verloren. In seinem Heimatstaat habe er bis 1962 als Hilfsarbeiter gearbeitet. Seitdem erhalte er wegen des Sehverlusts auf beiden Augen eine Sozialrente. Zudem erhalte er seit Juni 1972 eine Rente als Zivilopfer seines Heimatstaates, in dem er als zu 100 % körperbeschädigt anerkannt sei. Der Kläger legte verschiedene Unterlagen vor, u.a. den Bescheid über die Bewilligung der Rente als Zivilopfer in Kroatien vom 2. Februar 1973 sowie einen Zahlungsbeleg über diese Rente für den Monat August 1988.
Mit Bescheid vom 18. Januar 1991, abgesandt nach Aktenvermerk am 24. Januar 1991, erkannte der Beklagte als Schädigungsfolgen nach dem BVG
“Erblindung des rechten Auges, Verlust des linken Auges”
an und bewilligte dem Kläger als Kann-Leistung gemäß § 64 e Abs. 1 bzw. § 64 Abs. 2 BVG Beschädigtenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 100 v.H. ab dem 1. Oktober 1988 nebst Schwerstbeschädigtenzulage Stufe I und Pflegezulage Stufe III.
Mit Bescheid vom 11. Januar 1993, abgesandt nach Aktenvermerk am 11. Januar 1993, nahm der Beklagte den Bewilligungsbescheid mit Wirkung ab dem 1. Februar 1993 ohne vorherige Anhörung zurück. Zur Begründung führte er aus, der Bewilligungsbescheid vom 18. Januar 1991 sei fehlerhaft. Nach § 7 Abs. 2 BVG sei das BVG nicht auf Kriegsopfer anzuwenden, die - wie der Kläger - aus derselben Ursache einen Anspruch auf Versorgung gegen einen anderen Staat besitzen, mit dem keine anders lautende zwischenstaatliche Vereinbarung getroffen wurde. Das Interesse der Allgemeinheit an der Beseitigung des rechtswidrigen Bescheides sei vorliegend höher zu bewerten als das Interesse des Klägers an der Aufrechterhaltung des Vorteils. Zugunsten der Interessen des Klägers sei zwar berücksichtigt worden, daß der Grund für das Zustandekommen des rechtswidrigen Bescheides allein in den Verantwortungsbereich der deutschen Verwaltung falle, daraus ergebe sich jedoch nicht die Schutzwürdigkeit dieses Vertrauens. Im Rahmen der gebotenen Ermessensprüfung sei die persönliche Situation des Klägers gewürdigt worden. Die niedrige Höhe der Versorgung in dessen Heimatstaat könne nicht zu einer Ermessensausübung zugunsten des Klägers führen, weil auf diese wirtschaftlichen Verhältnisse deutsche Verwaltungsentscheidungen keinen Einfluß hätten.
Den am 19. März 1993 eingegangenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26. Juli 1993 zurück und führte u.a. aus, es sei ferner geprüft worden, ob im Rahmen des pflichtgemäßen Ermessens ganz oder teilweise von der Entziehung der laufenden Leistungen abgesehen werden könne. Es sei bekannt, daß der Kläger schon in jungen Jahren schwer beschädigt worden sei und in schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen lebe. Diese Umstände würden bei Sozialleistungen vielfach zutreffen und könnten bei allem Verständnis nicht dazu führen, daß lebenslang fortgesetzt werde, was nach dem Gesetz nicht hätte sein dürfen.
Gegen den ihm unter Vermittlung der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Zagreb mittels eingeschriebenem Brief/Rückschein am 6. August 1993 zugeleiteten Widerspruchsbescheid hat der Kläger beim Sozialgericht Frankfurt am Main am 5. Oktober 1993 Klage erhoben und vorgetragen, die Entziehung der Versorgungsleistungen sei rechtswidrig und habe nicht erfolgen dürfen.
Mit Urteil vom 28. Oktober 1994 hat das Sozialgericht den angegriffenen Bescheid und den Widerspruchsbescheid aufgehoben. In den Entscheidungsgründen hat es im wesentlichen ausgeführt, eine Aufhebung hätte nur unter den Voraussetzungen des § 45 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren (SGB X) erfolgen können. Danach seien die angefochtenen Bescheide jedenfalls schon deshalb rechtswidrig, weil der Beklagte, der ihm nach § 45 Abs. 1 SGB X obliegenden Pflicht zur Ausübung sachgerechten Ermessens ...