Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer ohne Aufenthaltsrecht. gewöhnlicher Aufenthalt im Bundesgebiet für mindestens 5 Jahre. Feststellung des Verlustes des Freizügigkeitsrechts nach § 2 Abs 1 FreizügG/EU 2004. Sozialhilfe. Überbrückungsleistungen. Vorliegen einer besonderen Härte
Orientierungssatz
1. Allein die Feststellung des Verlustes des Freizügigkeitsrechts nach § 2 Abs 1 FreizügG/EU 2004 sperrt die Anwendung des § 7 Abs 1 S 4 Halbs 1 SGB 2 (vgl LSG Darmstadt vom 9.10.2019 - L 4 SO 160/19 B ER = ZFSH/SGB 2019, 692). Dies gilt auch dann, wenn gegen die Feststellung Widerspruch eingelegt worden ist und der Widerspruch aufschiebende Wirkung hat, der Verlustfeststellung also insoweit keine Tatbestandswirkung zukommt.
2. Tritt zu einer noch nicht bestandskräftig geklärten ausländerrechtlichen Situation, die die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht mit der Folge hemmt, dass der Aufenthalt im Bundesgebiet aufenthaltsrechtlich jedenfalls in der Weise toleriert wird, dass keine Abschiebung erfolgt, hinzu, dass sich aufgrund der sich aus einer mehrjährigen Eingliederung in das hiesige Schulsystem ergebenden Bindung an das Bundesgebiet ein wegen einer unmittelbar bevorstehenden Ausreise geminderter Bedarf während des Verwaltungsstreitverfahrens zur Klärung der Rechtmäßigkeit einer Verlustfeststellung nicht unterstellt werden kann, liegt eine besondere Härte im Sinne des § 23 Abs 3 S 6 Halbs 1 und 2 SGB 12 vor.
Tenor
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Darmstadt vom 30. März 2020 wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat den Antragstellern ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten auch für das Beschwerdeverfahren zu erstatten.
Der Antragstellerin zu 1) wird unter Beiordnung von Rechtsanwältin B. B., B-Straße, B-Stadt, Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren bewilligt.
Die Prozesskostenhilfeanträge der Antragsteller zu 2) bis 4) werden abgelehnt.
Gründe
I.
Die Antragsteller streiten über die Gewährung von laufenden Leistungen zum Lebensunterhalt vorrangig nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) für die Zeit von Oktober 2019 bis Juni 2020 im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes.
Die 1973 geborene Antragstellerin zu 1) reiste am 1. März 2010 mit ihrem damaligen Ehemann, F. A. (geb. 1974), sowie ihren Kindern G., H. (geb. 1994), J. (geb. 1995), K. (geb. 1998), L. (geb. 2001), E. - Antragsteller zu 4) - (geb. 2002) und C. - Antragsteller zu 2) - (geb. 2005) aus Rumänien in die Bundesrepublik Deutschland ein. Ihr Sohn D. - Antragsteller zu 3) - wurde 2010 in Deutschland geboren. Die Antragsteller zu 1) bis 4) sind nach der eingeholten Einwohnermeldeamtsauskunft seit dem 1. März 2010 bzw. seit Geburt durchgehend in Deutschland gemeldet und besitzen nur die rumänische Staatsbürgerschaft. Einer Erwerbstätigkeit ist die Antragstellerin bislang nicht nachgegangen. Ihr damaliger Ehemann meldete am 8. April 2010 bei der Stadtverwaltung B-Stadt ein Gewerbe „Stahl- und Eisenschrott - einschließl. der verzinkten und verzinnten Batterien“ an. Am 9. Februar 2012 erfolgte die Gewerbeabmeldung.
Erstmals am 19. November 2012 beantragten die Antragsteller - zusammen mit weiteren Familienmitgliedern einschließlich des damaligen Ehemanns der Antragstellerin zu 1) - Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II), die ihnen die Beigeladene mit Bescheid vom 13. Dezember 2012 bewilligte. Seither bezogen sie ununterbrochen Leistungen bis 31. Mai 2018. Am 1. Mai 2013 zog der damalige Ehemann der Antragstellerin aus der gemeinsamen Wohnung aus; im Jahr 2014 oder 2015 erfolgte nach Angaben der Antragstellerin die Scheidung in Rumänien.
Bei K. stellte das Hessische Amt für Versorgung und Soziales Frankfurt mit Bescheid vom 24. Februar 2013 einen Grad der Behinderung von 100 sowie die Merkzeichen „G“, „B“ und „H“ fest aufgrund Einschränkungen der geistigen Leistungsfähigkeit. Seit dem 1. Februar 2018 wird er in der Werkstatt für behinderte Menschen, Werkstätten M., betreut (Träger der Maßnahme: Agentur für Arbeit B-Stadt) und erhält dort ein Taschengeld von 50 €/Monat. Für ihn ist ein gesetzlicher Betreuer bestellt, der für K. keine Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch, Zweites Buch (SGB II) oder SGB XII beantragt hat.
Die Antragsteller zu 2) und 4) besuchen seit dem 12. August 2014 die N-Schule, N-Stadt (Förderschule mit Förderschwerpunkt Lernen), der Antragsteller zu 2) voraussichtlich bis zum 31. Juli 2022 (Schulbescheinigung vom 14. Februar 2019) und der Antragsteller zu 4) voraussichtlich bis zum 31. Juli 2020 (Schulbescheinigung vom 10. April 2019), er nahm seit dem 14. Oktober 2019 nicht mehr am Unterricht teil (Bescheinigung vom 27. November 2019).
Der Antragsteller zu 3) besucht seit dem 1. August 2018 bis voraussichtlich 31. Juli 2022 die O-schule (Grundschule) (Schulbescheinigung vom 27. November 2019).
Zum 1. Januar 2018 mietete die „Familie A.“ von der Katholischen Pfarrgemeinde P.,...