Entscheidungsstichwort (Thema)

Begriff des einheitlichen entschädigungspflichtigen Verfahrens bei einer Entschädigungsklage wegen überlanger Verfahrensdauer

 

Orientierungssatz

1. Nach der Legaldefinition in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG gilt der gesamte Zeitraum von der Einleitung eines Verfahrens bis zu dessen rechtskräftigem Abschluss einschließlich eines einstweiligen Rechtschutz- und eines Prozesskostenhilfeverfahrens als ein einheitliches entschädigungspflichtiges Verfahren bei einem auf Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer gerichteten Verfahren.

2. Das PKH-Verfahren gilt als Bestandteil eines Hauptsacheverfahrens, wenn wegen der Hauptsache Entschädigung begehrt wird. Die Verzögerung paralleler Gesuche im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens ist nicht geeignet, eine Mehrfachentschädigung auszulösen. Das mit der Hauptsache verbundene PKH-Verfahren stellt sich lediglich als Bestandteil bzw. Annex zum Hauptsacheverfahren dar (BSG Urteil vom 10. 7. 2014, B 10 ÜG 8/13 R).

3. Der Kläger eines einstweiligen Rechtschutzverfahrens ist daher bezüglich seines Entschädigungsbegehrens auf das ebenfalls anhängige Entschädigungsklageverfahren zu verweisen. In Letzterem ist zu bewerten, wenn das Gericht wegen eines PKH-Verfahrens die Hauptsache nicht so zügig bearbeitet, wie dies gfs. erforderlich wäre.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 13.12.2018; Aktenzeichen B 10 ÜG 6/18 BH)

 

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

IV. Der Streitwert wird auf 4.100,00 Euro festgesetzt.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt eine Entschädigung für die Dauer eines Prozesskostenhilfebewilligungsverfahrens vor dem Sozialgericht Marburg zum dortigen Klageverfahren mit den Aktenzeichen S 8 AS 14/13.

In dem Ausgangsverfahren, das zunächst unter dem Aktenzeichen S 5 AS 14/13 geführt wurde, wandte sich der Kläger mit einer Untätigkeitsklage nach § 88 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vom 24. Januar 2013 gegen die Untätigkeit des Kreisjobcenters des Landkreises Marburg-Biedenkopf (in Folgenden: Kreisjobcenter) im Widerspruchsverfahren gegen die Bescheide vom 26. und 27. September 2012. Mit der Klageschrift stellte der anwaltlich vertretene Kläger einen Prozesskostenhilfeantrag. In seiner Klageerwiderung vom 4. April 2013 regte das Kreisjobcenter einen Erörterungstermin an. Die Anfrage des Sozialgerichts vom 8. April 2013, ob ein Erörterungstermin für sinnvoll erachtet werde, bejahte die Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 2. Mai 2013. Mit Schriftsatz vom 25. April 2016 äußerte sich das Kreisjobcenter inhaltlich zum Gegenstand der der Untätigkeitsklage zugrundeliegenden Widerspruchsverfahren. Auf den gerichtlichen Hinweis vom 20. Mai 2016 folgten weiteren Schriftsätze der Beteiligten. In dem Erörterungstermin vor dem Sozialgericht am 30. August 2016 erkannte das Kreisjobcenter seine Untätigkeit in Bezug auf die Bescheidung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 26. September 2012 an. Der Kläger nahm dieses Teilanerkenntnis an und nahm die Klage im Übrigen zurück. Das Hauptsacheverfahren war damit insgesamt erledigt. Im Termin verkündete die Kammervorsitzende den Beschluss, dem Kläger Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Prozessbevollmächtigten zu bewilligen.

Der Kläger hat mit dem Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten im Ausgangsverfahren am 17. Juni 2016 Verzögerungsrüge erhoben.

Am 28. Februar 2017 hat der Kläger bei dem Hessischen Landessozialgericht zwei Anträge auf Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Entschädigungsklage gestellt: der eine hat sich auf das hier streitgegenständliche Prozesskostenhilfebewilligungsverfahrens zum Klageverfahren S 8 AS 14/13 bezogen. Mit dem ihm am 28. März 2018 zugestellten Beschluss des Senats vom 19. März 2018 (L 6 SF 20/17 PKH) ist ihm diesbezüglich Prozesskostenhilfe zur Erhebung einer Entschädigungsklage bewilligt worden.

Am 11. April 2018 hat der Kläger Klage zum Landessozialgericht erhoben.

Er vertritt die Auffassung, dass er durch das jahrelange Unterlassen der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag in seinen Rechten verletzt worden sei, da für ihn als kostenarmer Bürger die prozessuale Waffengleichheit nicht verwirklicht worden sei. Eine Bearbeitungsdauer für einen Prozesskostenhilfeantrag, die über drei Monate hinausgehe, sei unangemessen.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an ihn als Entschädigung wegen überlanger Dauer des Prozesskostenhilfebewilligungsverfahrens zum Gerichtsverfahren S 8 AS 14/13 (Sozialgericht Marburg) mindestens 4.100,00 Euro zuzüglich Zinsen zu zahlen,

hilfsweise,

ihm die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Der Beklagte, der im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 1. August 2018 nicht erschienen und auch nicht vertreten gewesen ist, beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte meint, dass der Kläger die sechsmonatige Klagefrist des § 202 Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 198 Abs. 5 GVG versäumt habe. Der vom Kläger isoliert gestellte Prozesskost...

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