Entscheidungsstichwort (Thema)

Überlanges Gerichtsverfahren. Entschädigungsklage. Kostenfestsetzungsverfahren als eigenständiges Gerichtsverfahren. Erstattung von Kopierkosten. untergeordnete Bedeutung. Wiedergutmachung auf andere Weise. keine Geldentschädigung. überwiegende Auferlegung der Kosten der Entschädigungsklage. Zwölfmonatsregel. keine Verringerung der Vorbereitungs- und Bedenkzeit bei einfach gelagerten Verfahren

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Kostenfestsetzungsverfahren ist ein Gerichtsverfahren im Sinne des § 198 Abs 6 Nr 1 GVG.

2. Soweit es lediglich um die Höhe der zu erstattenden Kosten geht, liegt grundsätzlich eine nur untergeordnete Bedeutung für den Kläger vor.

3. Im Regelfall ist dann eine Wiedergutmachung durch die Feststellung der Überlänge ausreichend. Eine Entschädigung in Geld kommt hingegen nicht in Betracht.

 

Orientierungssatz

1. Es gibt keinen Grund, den Gestaltungsspielraum des Gerichts mit einer Vorbereitungs- und Bedenkzeit von 12 Monaten bei einfach gelagerten Fällen - wie sie Erinnerungsverfahren häufig sind - zu verengen und das Gericht für verpflichtet zu erachten, solche Fälle gegenüber rechtlich schwierigeren oder tatsächlich ermittlungs- und damit zeitintensiven Verfahren vorzuziehen.

2. Im Rahmen der Kostenentscheidung nach billigem Ermessen ist es zu beachten, dass die Feststellung der Überlänge (Feststellungsausspruch) gegenüber einem im Vordergrund stehenden Klagebegehren der Geldentschädigung nur von untergeordneter Bedeutung ist.

 

Tenor

I. Die unangemessene Dauer des beim Sozialgericht Gießen unter dem Aktenzeichen S 23 SF 68/15 E geführten Verfahrens wird festgestellt.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu 3/4 und der Beklagte zu 1/4 zu tragen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

IV. Der Streitwert wird auf 3.200,00 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt eine Entschädigung für die Dauer eines Kostenfestsetzungsverfahrens vor dem Sozialgericht Gießen (Az.: S 23 SF 68/15 E). In der Sache stritten die Beteiligten um die Erstattungsfähigkeit von Kopierkosten.

Am 13. Februar 2014 erhob der Kläger eine Klage vor dem Sozialgericht Gießen (Az.: S 16 SB 54/14) und beantragte, ihm einen Grad der Behinderung von mindestens 50 zuzuerkennen. Nachdem mehrere Befundberichte vorgelegt wurden, erkannte das beklagte Land Hessen mit Bescheid vom 27. Oktober 2014 einen Grad der Behinderung von 60 an. Der Kläger erklärte das Verfahren daraufhin für erledigt und beantragte, dem beklagten Land Hessen, die außergerichtlichen Kosten aufzuerlegen. Mit Schriftsatz vom 27. November 2014 erklärte sich das beklagte Land Hessen bereit, die außergerichtlichen Kosten dem Grund nach zu erstatten. Das Gericht teilte dem Kläger daraufhin mit, dass es eine gerichtliche Kostengrundentscheidung für entbehrlich halte, da ein volles Obsiegen der Klägerseite vorliege und von der Annahme des Kostengrundanerkenntnisses ausgegangen werde. Mit Schriftsatz vom 5. Januar 2015 teilte das beklagte Land Hessen im Hinblick auf die vom Prozessbevollmächtigten des Klägers übersandte Gebührenrechnung in Höhe von insgesamt 770,88 € mit, dass es mit den geltend gemachten Kosten der Höhe nach nicht einverstanden sei. Ausweislich der Kostenrechnung veranschlage der Prozessbevollmächtigte einen Betrag von insgesamt 47,80 € für die Anfertigung von 202 Fotokopien, obwohl die Akte nur 101 Seiten gehabt habe. Auf Nachfrage des Gerichts teilte der Bevollmächtigte am 8. Januar 2015 mit, dass er die Akte doppelt kopiert habe, um dem Kläger einen Satz aushändigen und den Sachverhalt mit ihm besprechen zu können.

Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 25. Oktober 2015 setzte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die vom beklagten Land zu erstattenden Kosten auf insgesamt 740,78 € fest, wobei er die Dokumentenpauschale nach Nr. 7000 Vergütungsverzeichnis zum Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte- Rechtsanwaltsvergütungsgesetz- (VV RVG) mit 32,50 € in Ansatz brachte. Zur Begründung führte er aus, dass die Fertigung eines zweiten Satzes Fotokopien nicht erforderlich gewesen sei.

Gegen den ihm am 12. November 2015 zugestellten Beschluss stellte der Kläger mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 20. November 2015 einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung hinsichtlich der Absetzung der geltend gemachten restlichen Kopierkosten. Der Urkundebeamte der Geschäftsstelle half der Erinnerung nicht ab und legte der Kostenkammer des Sozialgerichts Gießen das Verfahren am 25. November 2015 zur Entscheidung vor.

Nachdem das Land Hessen als Erinnerungsgegner mit Schreiben vom 21. Dezember 2015 ausgeführt hatte, ein einmaliges Kopieren der Akte werde als ausreichend erachtet, verfügte der Kammervorsitzende das Verfahren am 23. Dezember 2015 zum "Beschlussfach". Weiterer Schriftverkehr erfolgte nicht. Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 2. Februar 2017 rügte der Kläger eine überlange Verfahrensdauer. Es seien weder schwierige Rechtsfragen zu klären, noch bedürfe...

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