Entscheidungsstichwort (Thema)
Überlanges Gerichtsverfahren. Entschädigungsklage. Kostenerinnerungsverfahren als eigenständiges Gerichtsverfahren. untergeordnete Bedeutung für den Kläger. Möglichkeit der Zuerkennung einer Geldentschädigung. Zwölfmonatsregel. keine Verringerung der Vorbereitungs- und Bedenkzeit bei einfach gelagerten Verfahren. Herabsetzung der Entschädigungspauschale. Verhältnis zum Streitwert des Ausgangsverfahrens
Orientierungssatz
1. Auch wenn ein Kostenfestsetzungsverfahren nur eine untergeordnete Bedeutung für den Kläger hat, kommt im Rahmen einer Entschädigungsklage wegen überlanger Dauer des Kostenfestsetzungsverfahrens eine Geldentschädigung (anstelle einer Wiedergutmachung auf sonstige Weise) in Betracht, wenn der Kläger durch sein Verhalten nicht zur Verlängerung des Verfahrens beigetragen hat, das Kostenfestsetzungsverfahren in seiner Dauer das Hauptsacheverfahren deutlich übertraf und die Überlänge des Verfahrens auf strukturelle gerichtliche Defizite zurückzuführen ist.
2. Ab einer gewissen Dauer des Kostenfestsetzungsverfahrens gewinnt auch das Interesse des Klägers daran Gewicht, dass sein Bevollmächtigter möglicherweise auch in Zukunft wieder bereit ist, entsprechende Mandate zu übernehmen (Abgrenzung zu LSG Neustrelitz vom 8.6.2016 - L 12 SF 9/14 EK AS und vom 12.2.2020 - L 12 SF 39/17 EK AS).
3. Die Entschädigungspauschale kann nach § 198 Abs 2 S 4 GVG herabzusetzen sein (hier auf 20 Euro pro Monat), wenn der Entschädigungsbetrag nach § 198 Abs 2 S 3 GVG den Streitwert des Ausgangsverfahrens um ein Vielfaches übersteigen würde.
4. Bei dem Erinnerungsverfahren handelt es sich - wie der Senat bereits entschieden hat - um ein Gerichtsverfahren im Sinne von § 198 Abs 6 Nr 1 GVG (vgl LSG Darmstadt vom 1.8.2018 - L 6 SF 2/18 EK SB = ASR 2019, 123).
5. Für eine generelle Reduzierung der allgemeinen Vorbereitungs- und Bedenkzeit von 12 Monaten besteht für Kostenfestsetzungsverfahren auch im Hinblick auf die vielfach einfach gelagerten Rechtsfragen in diesen Verfahren kein Bedürfnis (vgl LSG Chemnitz vom 22.1.2018 - L 11 SF 45/16 EK und LSG Darmstadt vom 1.8.2018 - L 6 SF 2/18 EK SB aaO).
Tenor
I. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger wegen überlanger Dauer des vor dem Sozialgericht Kassel unter dem Aktenzeichen S 5 SF 28/15 E geführten Verfahrens eine Entschädigung in Höhe von 920 Euro zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt eine Entschädigung wegen überlanger Dauer des vor dem Sozialgericht Kassel unter dem Aktenzeichen S 5 SF 28/15 E geführten Erinnerungsverfahrens.
Der Kläger erhob am 16. Dezember 2013 Untätigkeitsklage beim Sozialgericht Kassel. Das Verfahren endete nach Erlass des begehrten Bescheides durch Abgabe einer Erledigungserklärung am 17. Juli 2015 (Bl. 41 S 11 AY 13/13). Der Beklagte zu 1 gab am 9. Oktober 2014 ein Kostengrundanerkenntnis ab (Bl. 76 S 11 AY 13/13).
Der Prozessbevollmächtigte beantragte mit Schreiben vom 16. Oktober 2014, eingegangen am 17. Oktober 2014, die Kostenfestsetzung für das Verfahren in Höhe von 532,53 Euro. Nach Stellungnahme des Beklagten zu 1 und des Prozessbevollmächtigten im Oktober 2014 sowie einer Sachstandsanfrage des Prozessbevollmächtigten am 15. April 2015 setzte der zuständige Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die von dem Beklagten zu 1 zu tragenden Kosten am 17. April 2015 auf 362,95 Euro fest (Bl. 79 - 90 S 11 AY 13/13).
Der Kostenfestsetzungsbeschluss wurde dem Prozessbevollmächtigten am 17. April 2015 zugestellt (Bl. 93 S 11 AY 13/13).
Der Prozessbevollmächtigte legte am 21. April 2015 Erinnerung gegen die Kostenfestsetzung ein und begehrte eine höhere Festsetzung der Verfahrens- und Terminsgebühr.
Der Urkundsbeamte half der Erinnerung nicht ab (Bl. 1 R S 5 SF 28/15 E).
Das Verfahren wurde unter dem Aktenzeichen S 5 SF 28/15 E geführt.
Nach Eingang wurde der Erinnerungsgegner mit Schreiben vom 26. Mai 2015 zur Stellungnahme aufgefordert, dieser erwiderte mit Schreiben vom 1. Juni 2015, eingegangen am 2. Juni 2015. Dieses Schreiben wurde dem Prozessbevollmächtigte am 5. Juni 2015 übersandt.
Mit gerichtlichen Schreiben vom 25. November 2015 wurde der Prozessbevollmächtigte aufgefordert zu prüfen, ob das Verfahren nach den Beschlüssen der 7. Kammer zu den maßgeblichen Fallgestaltungen nicht zurückgenommen werden könne. Am 30. November 2015 teilte der Prozessbevollmächtigte mit, dass die Erinnerung nicht zurückgenommen werde, weil der anwaltlichen Mehrarbeit in den angesprochenen Beschlüssen nicht Rechnung getragen werde. Dieses Schreiben wurde dem Erinnerungsgegner am 3. Dezember 2015 zur Kenntnis übersandt (Bl. 6 ff S 5 SF 28/15 E).
Mit Schreiben vom 5. Juni 2016, eingegangen am 6. Juni 2016, bat der Prozessbevollmächtigte um Sachstandsmitteilung und erhob Verzögerungsrüge. Daraufhin teilte das Gericht mit, d...