Orientierungssatz

Parallelentscheidung zu dem Urteil des LSG Darmstadt vom 14.12.1995 - L 5 V 1221/94, das vollständig dokumentiert ist.

 

Verfahrensgang

SG Frankfurt am Main (Urteil vom 09.12.1994; Aktenzeichen S-11/V-2899/93)

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 11.03.1998; Aktenzeichen B 9 V 18/97 R)

BSG (Urteil vom 04.02.1998; Aktenzeichen B 9 V 5/97 R)

BSG (Urteil vom 17.12.1997; Aktenzeichen 9 RV 17/97)

BSG (Urteil vom 17.12.1997; Aktenzeichen 9 RV 7/97)

 

Tenor

I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 9. Dezember 1994 wird zurückgewiesen.

II. Der Beklagte hat dem Kläger die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen beider Instanzen zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Entziehung von Versorgungsleistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

Der 1936 geborene Kläger hat als ausländischer Staatsangehöriger seinen Wohnsitz in der Republik Kroatien. Erstmals am 20. Mai 1988 beantragte er bei dem Beklagten die Gewährung von Beschädigtenversorgung und trug vor, Anfang Februar 1945 durch liegengebliebenes Kriegsmaterial verletzt worden zu sein. Er habe das linke Auge verloren und sei auf dem rechten Auge erblindet. Ferner habe er den Verlust der Finger 1-3 der rechten Hand und Bewegungseinschränkung der Finger 4 und 5 des Handgelenkes rechts erlitten. Er sei zu 100 % Invalide und deshalb als ziviles Kriegsopfer in seinem Heimatland anerkannt. Er erhalte dementsprechende Invalidenrente. Nach weiteren Ermittlungen erkannte der Beklagte mit Bescheid vom 25. Januar 1991 die geltend gemachten Gesundheitsstörungen als. Schädigungsfolgen an und gewährte Beschädigtenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 100 v.H. nebst Schwerstbeschädigtenzulage Stufe II und Pflegezulage Stufe III ab 1. Mai 1988. Zur Begründung führte er u.a. aus, daß die Leistung als sogenannte “Kannleistung” gemäß § 64 e Abs. 1 bzw. § 64 Abs. 2 BVG bewilligt werde.

Diesen Bescheid nahm der Beklagte ohne vorherige Anhörung des Klägers mit Aufhebungsbescheid vom 11. Januar 1993 mit Wirkung ab 1. Februar 1993 zurück und führte zur Begründung aus, daß der Bewilligungsbescheid rechtswidrig sei, da eine Doppelversorgung gemäß § 7 Abs. 2 BVG unzulässig sei. Der Kläger erhalte bereits Rente als ziviles Kriegsopfer von seinem Heimatstaat und habe deshalb keinen weiteren Anspruch nach dem BVG. Die Aufhebung sei im öffentlichen Interesse geboten. Zugunsten der Interessen des Klägers sei bereits berücksichtigt worden, daß der Grund für das Zustandekommen des rechtswidrigen Bescheides allein in der Verantwortung der deutschen Verwaltung liege. Im Rahmen der Ermessensprüfung sei die persönliche Lage des Klägers berücksichtigt worden. Die Höhe der Versorgung des Heimatstaates könne nicht zugunsten des Klägers berücksichtigt werden, da auf diese wirtschaftlichen Verhältnisse deutsche Verwaltungsentscheidungen keinen Einfluß hätten.

Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 9. März 1993 Widerspruch ein und trug vor, daß die Entziehung der Versorgungsleistungen rechtswidrig sei. Gerade jetzt, “wo er Hilfe und Unterstützung am dringendsten benötige, seien sie ihm entzogen worden.” Er sei mittlerweile alt und krank und außerdem würde in seinem Land Krieg geführt. Gerade Blinde lebten sehr schwer und würden dringend fremde Hilfe benötigen. Die Invalidenrente, die er von seinem Heimatstaat erhalte, habe höchstens die Höhe von ca. 30,00 DM. Aus Humanität müßte seiner Ansicht nach gerade jetzt, wo die Menschen durch den Krieg besonders “ausgelaugt” und “gequält” seien, ihnen Hilfe von der “zivilisierten Welt” zukommen. Durch Widerspruchsbescheid vom 18. August 1993 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Da den Kläger kein Verschulden an der Rechtswidrigkeit des Bescheides treffe, brauche er die gezahlten Leistungen nicht zurückzuerstatten. Für die Zukunft überwiege jedoch das öffentliche Interesse. Es sei bekannt, daß der Kläger schon in jungen Jahren schwer geschädigt worden sei und in schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen lebe. Dieser Umstand träfe bei den Sozialleistungen vielfach zu und könne bei allem Verständnis nicht dazu führen, daß lebenslang fortgeführt werde, was nach dem Gesetz nicht hätte sein dürfen.

Am 15. November 1993 hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben und die Ansicht vertreten, daß die Entziehung von Versorgungsleistungen rechtswidrig sei und deshalb nicht hätte erfolgen dürfen.

Mit Urteil vom 9. Dezember 1994 hat das Sozialgericht den angefochtenen Bescheid und den Widerspruchsbescheid aufgehoben. In den Entscheidungsgründen hat es im wesentlichen ausgeführt, eine Aufhebung hätte nur unter den Voraussetzungen des § 45 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) erfolgen können. Entscheidend sei, daß der Beklagte von der ihm nach § 45 Abs. 1 SGB X obliegenden Pflicht zur Anwendung sachgerechten Ermessens keinen Gebrauch gemacht habe. Der Beklagte habe se...

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