Orientierungssatz

Parallelentscheidung zu dem Urteil des LSG Darmstadt vom 14.12.1995 - L 5 V 1221/94, das vollständig dokumentiert ist.

 

Verfahrensgang

SG Frankfurt am Main (Urteil vom 19.01.1996; Aktenzeichen S-11/V-1834/95)

 

Tenor

I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 19. Januar 1996 wird zurückgewiesen.

II. Der Beklagte hat dem Kläger die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen beider Instanzen zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Entziehung von Versorgungsleistung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

Der am … 1930 geborene Kläger hat als ausländischer Staatsangehöriger seinen Wohnsitz in der Republik Kroatien. Erstmals am 13. Februar 1989 beantragte er bei dem Beklagten die Gewährung von Beschädigtenversorgung und trug vor, am 7. April 1944 durch liegengebliebenes Kriegsmaterial verletzt worden zu sein. Er habe das linke Auge verloren sowie Narben und Stecksplitter im Bereich beider Unterschenkel davongetragen. Er sei deshalb als ziviles Kriegsopfer in seinem Heimatland anerkannt. Der Kläger legte entsprechende Anerkennungsbescheide und Zahlungsbelege vor. Nach weiteren Ermittlungen erkannte der Beklagte mit Bescheid vom 1. April 1992 die geltend gemachten Gesundheitsstörungen als Schädigungsfolgen an und gewährte Beschädigtenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 30 v.H. ab Juni 1992. Zur Begründung führt er u.a. aus, daß die Leistung als sog. „Kann-Leistung” gemäß § 64 d Abs. 1 bzw. § 64 Abs. 2 BVG bewilligt werde.

Diesen Bescheid nahm der Beklagte ohne vorherige Anhörung des Klägers mit Aufhebungsbescheid vom 11. Januar 1993 mit Wirkung ab 1. Februar 1993 zurück und führte zur Begründung aus, daß der Bewilligungsbescheid rechtswidrig sei, da eine Doppelversorgung gemäß § 7 Abs. 2 BVG unzulässig sei. Der Kläger erhalte bereits Rente als ziviles Kriegsopfer von seinem Heimatstaat und habe deshalb keinen weiteren Anspruch nach dem BVG. Die Aufhebung sei im öffentlichen Interesse geboten. Zugunsten der Interessen des Klägers sei berücksichtigt worden, daß der Grund für das Zustandekommen des rechtswidrigen Bescheides allein in der Verantwortung der deutschen Verwaltung liege. Im Rahmen der Ermessensprüfung sei die persönliche Lage des Klägers berücksichtigt worden. Die Höhe der Versorgung des Heimatstaates könne nicht zugunsten des Klägers berücksichtigt werden, da auf diese wirtschaftlichen Verhältnisse deutsche Verwaltungsentscheidungen keinen Einfluß hätten.

Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 8. Februar 1993 Widerspruch ein und trug vor, daß die Entziehung der Versorgungsleistung rechtswidrig sei. Er sei ein vollständiger Invalide und vollkommen auf fremde Hilfe und Pflege angewiesen. Berücksichtigt werden müsse auch, daß er schon als Kind geschädigt worden sei. Einmal erworbene Rechte dürften seiner Ansicht nach nicht wieder verlorengehen. Durch Widerspruchsbescheid vom 9. Juli 1993 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Da den Kläger kein Verschulden an der Rechtswidrigkeit des Bescheides treffe, brauche er die gezahlten Leistungen nicht zurückzuerstatten. Für die Zukunft überwiege jedoch das öffentliche Interesse. Es sei bekannt, daß der Kläger schon in jungen Jahren schwer geschädigt worden sei und in schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen lebe. Diese Umstände würden bei den Sozialleistungen vielfach zutreffen und könnten bei allem Verständnis nicht dazu führen, daß lebenslang fortgesetzt werde, was nach dem Gesetz nicht sein dürfte.

Die dagegen am 1. November 1993 beim Sozialgericht Frankfurt am Main erhobene Klage war verspätet. Der Kläger nahm die Klage zurück und stellte einen Neuantrag. Mit Bescheid vom 21. September 1994 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. März 1995 lehnte der Beklagte die Rücknahme des Bescheides vom 11. Januar 1993 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Juli 1993 ab und wiederholte im wesentlichen seine Begründung.

Am 10. Mai 1995 hat der Kläger dann erneut Klage vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben und die Ansicht vertreten, daß die Entziehung von Versorgungsleistungen rechtswidrig sei und deshalb nicht hätte erfolgen dürfen.

Mit Urteil vom 19. Januar 1996 hat das Sozialgericht die angefochtenen Bescheide und Widerspruchsbescheide aufgehoben. In den Entscheidungsgründen hat es im wesentlichen ausgeführt, eine Aufhebung des Bescheides vom 1. April 1992 hätte nur unter den Voraussetzungen des § 45 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren (SGB X) – erfolgen können. Entscheidend sei, daß der Beklagte von der ihm nach § 45 Abs. 1 SGB X obliegenden Pflicht zur Anwendung sachgerechten Ermessens keinen Gebrauch gemacht habe. Der Beklagte habe in seiner Entscheidung nicht auf den individuellen Einzelfall des Klägers abgestellt. Vielmehr weise die Formulierung darauf hin, daß der Beklagte bei seiner Entscheidung gerade nicht die individuellen Verhältnisse des vorliegenden Falles ...

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