Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Nichtzahlung des mietvertraglichen Mietzinses. Verjährung der Mietzinsforderungen. Zumutbarkeit der Erhebung einer Verjährungseinrede
Leitsatz (amtlich)
Hat ein Hilfebedürftiger Anspruch auf Kosten der Unterkunft (Mietzins) nach dem SGB II, so ist es ihm zumutbar, sich wie eine wirtschaftlich vernünftig handelnde Person zu verhalten, die ihre Kosten der Unterkunft selbst tragen muss. Es ist dem Hilfebedürftigen daher zumutbar, gegen verjährte Mietzinsansprüche die Einrede der Verjährung zu erheben (entgegen LSG Mainz vom 25.3.2014 - L 3 AS 343/10 ZVW).
Normenkette
SGB II §§ 22, 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, § 9; BGB §§ 195, 199
Tenor
I. Das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 17. April 2013 wird aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander für beide Instanzen keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist noch die Gewährung von Leistungen für Kosten der Unterkunft nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) im Zeitraum 1. Dezember 2010 bis 16. Juni 2011 in Streit.
Die 1981 in Kenia geborene, verheiratete Klägerin lebte zuletzt bis Juni 2009 in D-Stadt, bis 22. November 2010 in E-Stadt. Dort betrieb sie bis 25. Oktober 2010 ein Gewerbe "An- und Verkauf von Mode- und Gebrauchsartikeln sowie Promotion". Bis 30. November 2010 bezog die Klägerin Leistungen nach dem SGB II des für E-Stadt zuständigen Jobcenters F.
Im Herbst 2010 suchte die Klägerin für sich und ihre beiden in den Jahren 2001 und 2007 geborenen Kinder eine Wohnung, da sie aus dem Haus in E-Stadt, das nach den Maßstäben des SGB II laut Jobcenter F. hinsichtlich Größe und Miethöhe unangemessen war, ausziehen musste. lm September 2010 lernte die Klägerin über eine Partnervermittlung den 1965 geborenen, von seiner Ehefrau getrennt lebenden G. kennen. Er ist Maschinenbaumeister und erzielte im Jahr 2010 als Angestellter bei H. eine Bruttomonatsverdienst von ca. 4.800,- €. Es kam zwischen der Klägerin und Herrn G. zu einer sexuellen Beziehung. Im Oktober oder November 2010 waren die Klägerin und der Zeuge G. für zehn Tage gemeinsam im Heimatland Kenia der Klägerin. Am 22. November 2010 zog die Klägerin in das dem Zeugen G. gehörende Haus in der J-Straße in J-Stadt (JX.) (Meldebescheinigung vom 3. Dezember 2010, Verwaltungsakte Blatt 4).
Ausweislich der Mietbescheinigung vom 28. Dezember 2010 hatte die Klägerin die 70 qm große Wohnung im Dachgeschoss ab 1. Dezember 2010 zu einem monatlichen Mietzins von 410,- € (280,- € Kaltmiete zzgl. Betriebskostenvorauszahlung von 130,- €) gemietet. Das Haus bestand aus einer von Herrn G. und seinem Kind bewohnten Wohnung im Erdgeschoss sowie einer abgeschlossenen Wohnung im Dachgeschoss ohne Küche und einer an ein Paar vermieteten Souterrainwohnung. Die Klägerin nutzte die Küche in der von Herrn G. bewohnten Erdgeschosswohnung. Sie hielt sich regelmäßig abends in der Wohnung von Herrn G. auf und übernachtete auch regelmäßig in dessen Wohnung. Ausnahmsweise, wenn ein Kind krank war, tat sie dies nicht. Herr G. bezahlte in der Zeit von Dezember 2010 bis Februar 2011 die Krankenversicherungsbeiträge der Klägerin an deren private Krankenversicherung in Höhe von 786,88 € (Kontoauszug, Verwaltungsakte Blatt 139), eine Rechnung der Frauenärztin K. der Klägerin i.H.v. 123,07 € (Verwaltungsakte Blatt 137) sowie Rechnungen der Rechtsanwältin L. i.H.v. 696,15 € sowie 1.588,65 € sowie 438,00 € (Verwaltungsakte Blatt 140, 143), die die Klägerin auch später im Widerspruchsverfahren vertrat (zusammen: 3.632,75 €). Für Einkäufe bei M1., M2. und dem M3. SB Warenhaus gab Herr G. im Zeitraum 3. Dezember 2010 bis 6. März 2011, soweit durch Abbuchungsvorgänge auf den Kontoauszügen nachvollziehbar (Verwaltungsakte Blatt 137- 145), mindestens 1.097,98 € aus.
Die Klägerin beantragte am 6. Dezember 2010 die Gewährung von SGB II Leistungen bei dem Beklagten. Der dem Beklagten vorgelegte Mietvertrag und das Übergabeprotokoll vom 29. November 2010 geben unzutreffend eine Küche als Teil der Dachgeschosswohnung an [Verwaltungsakte Blatt 13]. Am 24. Januar 2011 legte die Klägerin außerdem einen zwischen ihr und Herrn G. am 23. Januar 2011 geschlossenen Mietvertrag ab 15. Februar 2011 über die von Herrn G. bewohnte Erdgeschosswohnung in dem Haus J-Straße vor.
Der Ermittlungsaußendienst des Beklagten führte am 25. und 26. Januar 2011 einen Hausbesuch bei der Klägerin in der Dachgeschoss- und in der Erdgeschosswohnung durch. Zum Ergebnis des Hausbesuchs wird auf Blatt 62, 63 der Verwaltungsakte des Beklagten verweisen. Mit Bescheid vom 30. März 2011 lehnte der Beklagte eine Leistungsgewährung ab, da die Klägerin wie auch ihre Kinder nicht hilfebedürftig seien [Verwaltungsakte Blatt 152]. Sie lebe mit Herrn G. in einer Bedarfsgemeinschaft und ihnen stünden ausreichend finanzielle Mittel zur Finanzierung des Lebensunterhaltes zur Verfügung. Bei der Bedarfsberechnung gi...