Entscheidungsstichwort (Thema)
Kostenerstattung. kieferorthopädische Behandlung. Kassenarzt/Kassenzahnarzt. kassenärztliche/vertragsärztliche Versorgung. Rechtsverhältnis Versicherter/Krankenkasse/Kassenzahnarzt/Kassenzahnärztliche Vereinigung. Sozialrechtsverhältnis
Leitsatz (amtlich)
1. Die Leistungsgewährung im System der gesetzlichen Krankenversicherung beruht auf mehrseitigen und mehrstufigen Rechtsbeziehungen zwischen Versicherten bzw. Mitgliedern, Krankenkasse, Kassenarzt/Kassenzahnarzt und Kassenärztlicher/Kassenzahnärztlicher Vereinigung (Sozialrechtsverhältnis).
2. Nach der Systematik des SGB V setzt ein Sozialrechtsverhältnis eine „Versicherung” und die daraus abgeleitete „Mitgliedschaft” bei gleichzeitiger Bestimmung des anspruchsberechtigten Personenkreises voraus (erste Stufe). Erst dann kann das schuldrechtliche Versicherungsverhältnis im Leistungsfall (Versicherungsfall) für nachfolgend zu gewährende Leistungen entstehen.
3. Das so entstandene schuldrechtliche Versicherungsverhältnis besteht aus einem „Leistungsgrundverhältnis” und einem „Leistungserfüllungsverhältnis” (zweite Stufe). Bei der kassenärztlichen/vertragsärztlichen Versorgung ergeben sich dann im Leistungserfüllungsverhältnis weitere eigenständige Rechtsbeziehungen (dritte Stufe) durch die Einschaltung dritter Leistungserbringer.
4. Der Fortbestand einer Leistungszusage der Krankenkasse zu den Aufwendungen einer kieferorthopädischen Behandlung setzt dementsprechend voraus, daß ein an den vertragszahnärztlichen (kassenzahnärztlichen) Versorgung zugelassener Zahnarzt die Behandlung durchführt und planmäßig zum Abschluß bringt.
5. Verzichtet ein an der vertragszahnärztlichen (kassenzahnärztlichen) Versorgung zugelassener Zahnarzt auf seine von der Kassenzahnärztlichen Vereinigung erteilte Zulassung, so kann die Weiterführung der kieferorthopädischen Behandlung nur auf privater Basis erfolgen.
Normenkette
SGB V §§ 2, 12-13, 29, 70, 72, 76; SGB X § 48
Verfahrensgang
SG Wiesbaden (Urteil vom 09.11.1993; Aktenzeichen S-2/Kr-426/93) |
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufungen des Klägers und des Beigeladenen gegen das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 9. November 1993 werden zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über den Fortbestand einer Leistungszusage zu den Aufwendungen einer kieferorthopädischen Behandlung.
Der am 5. A. 19… geborene Kläger ist über seinen Vater, der pflichtversichertes Mitglied der Beklagten ist, familienversichert. Auf einen von dem Zahnarzt Dr. S. erstellten kieferorthopädischen Behandlungsplan entschied die Beklagte, sich ab Quartal III/90 an den Aufwendungen der kieferorthopädischen Behandlung mit einem Zuschuß in Höhe von 80 v.H. der Vertragskosten zu beteiligen. Der verbleibende Eigenanteil sollte nach planmäßigem Behandlungsabschluß erstattet werden (Bescheid vom 10. September 1990). Im Verlaufe der Behandlung kam es dann ab Quartal III/92 zu einem Behandlerwechsel. Der (durch Beschluß vom 9. Juli 1993) beigeladene Zahnarzt Dr. R. teilte der Beklagten durch Schreiben vom 1. September 1992 mit, daß er die kieferorthopädische Behandlung fortführe, worauf die Beklagte auch insoweit Leistungszusage erteilte.
Mit Schreiben vom 17. Februar 1993 teilte die Beklagte dem Kläger mit, „daß der (behandelnde) Kieferorthopäde seine Zulassung an der vertragsärztlichen Versorgung zum 31. Dezember 1992 zurückgegeben habe. Unter dieser Voraussetzung könne die Weiterführung der kieferorthopädischen Behandlung nur auf privater Basis erfolgen.” Zur Vermeidung finanzieller Nachteile empfahl die Beklagte die Frage eines Behandlerwechsels zu prüfen, wies aber darauf hin, daß ein Kostenerstattungsanspruch nur dann bestehe, wenn ein Vertragszahnarzt in Anspruch genommen werde (Schreiben vom 19. Februar 1993).
Den am 19. Februar 1993 eingelegten Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11. Mai 1993 zurück. Ein Anspruch bestehe nur bis zum Ablauf des Quartals I/93.
Hiergegen hat der Kläger am 1. Juni 1993 Klage vor dem Sozialgericht Wiesbaden erhoben und vorgetragen, daß ein Wechsel zu einem anderen Kieferorthopäden erhebliche Zusatzkosten auslöse. Der Kläger hat geltend gemacht, daß ein Erfolg der Behandlung in hohem Maße von einem – hier bestehenden – Vertrauensverhältnis zu seinem behandelnden Zahnarzt abhänge. Deshalb weigere er sich, sich von einem anderen Kieferorthopäden behandeln zu lassen. Im übrigen bestehe auch keine Möglichkeit, die Behandlung in W. und Umgebung zu Ende zu führen, weil die dortigen Kieferorthopäden die Behandlungsmethode des Beigeladenen nicht beherrschten.
Der Beigeladene hat vorgetragen, daß sein Verzicht auf Kassenzulassung eine Einzelentscheidung darstelle („kein kollektiver Verzicht”). Um die laufenden Behandlungsfälle abzuschließen und den Patienten keine wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu bereiten, habe er sich entschlossen,...