Entscheidungsstichwort (Thema)

Aufhebung eines Erstattungsbescheides wegen Ermessensfehlgebrauchs

 

Orientierungssatz

1. Nach § 50 Abs. 1 SGB 10 sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist. Eine ergangene Aufhebungsentscheidung ist u. a. dann rechtswidrig, wenn die Behörde das ihr eingeräumte Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat.

2. Ein ergangener Verwaltungsakt soll nach § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB 10 mit Wirkung vom Zeitpunkt der Verhältnisse an aufgehoben werden, wenn der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maß verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.

3. Bei einem Anspruch des Versicherten auf Zuschuss zur Kranken- und Pflegeversicherung aus § 106 und § 106 a SGB 6 sieht das Gesetz als Anspruchsvoraussetzung die freiwillige oder private Versicherung des Betroffenen vor. Mit dem Eintritt einer Versicherungspflicht liegen die Voraussetzungen des Anspruchs nicht mehr vor.

4. "Soll" in § 48 Abs. 1 S. 2 SGB 10 bedeutet, dass der Rentenversicherungsträger den Verwaltungsakt im Regelfall rückwirkend aufzuheben hat. Liegt jedoch ein atypischer Fall vor, so ist eine Ermessensentscheidung darüber zu treffen, ob und in welchem Umfang von der gegebenen Aufhebungsmöglichkeit abgesehen werden kann. Das Gericht darf den angefochtenen Bescheid wegen fehlender Ermessensausübung aufheben, wenn die Prüfung ergibt, dass ein atypischer Fall vorliegt, vgl. BSG, 01. Juli 2010 - B 13 R 77/09 R.

5. Ein atypischer Fall ist u. a. bei einem Mitverschulden der Krankenkasse anzunehmen. Dies gilt in gleicher Weise für den Rentenversicherungsträger. Ausreichend ist, dass das Verschulden der Sphäre des Leistungsträgers und nicht der des Versicherten zuzuordnen ist. Aus der Abhängigkeit Krankenversicherung-Rentenversicherung resultieren gesetzliche Mitteilungspflichten.

6. Die Begründung des Bescheides muss erkennen lassen, dass eine Ermessensentscheidung getroffen wurde und diejenigen Gesichtspunkte aufzeigen, von denen der Leistungsträger bei der Ausübung des Ermessens ausgegangen ist. Hat der Leistungsträger zu Unrecht eine Ermessensreduktion auf Null angenommen, so ist der ergangene Bescheid aufzuheben, vgl. BSG, vom  14. Dezember 1994 - 4 RA 42/94.

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 15. November 2011 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten noch um die Aufhebung der Bewilligungsbescheide und um die Erstattung der Zuschüsse zu den Beiträgen der freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung des Klägers für den Zeitraum vom 1. April 2002 bis zum 31. August 2008.

Der 1933 geborene Kläger war als selbstständiger Kaufmann tätig. Er musste 1996 eine eidesstattliche Versicherung abgeben.

Am 29. Dezember 1997 stellte der Kläger einen Antrag auf Versichertenrente bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten. Unter dem 20. Januar 1998 beantragte der Kläger zudem Zuschüsse zur Kranken- und Pflegeversicherung.

Mit Bescheid vom 25. Mai 1998 bewilligte die BfA dem Kläger eine Regelaltersrente ab dem 1. November 1998 in Höhe von monatlich 1.244,87 DM. Dabei teilte sie mit, dass der Kläger über seinen Antrag auf Zuschuss zur Kranken- und Pflegeversicherung in Kürze weitere Nachricht erhalten werde.

Der Beklagten lag ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss der Sparkasse C-Stadt vom 30. Mai 1996 hinsichtlich der Rente des Klägers vor. Da diese die Pfändungsgrenze nicht überschritt, erfolgte eine ungeschmälerte Auszahlung der Rente an den Kläger.

Nachdem der Kläger die Beklagte an die Entscheidung über die Zuschüsse mit Schreiben vom 21. Juli 1998 erinnert hatte, bewilligte die BfA dem Kläger mit Rentenbescheid vom 12. August 1998 einen monatlichen Zuschuss zur Krankenversicherung in Höhe von 84,65 DM und einen monatlichen Zuschuss zur Pflegeversicherung in Höhe von 10,58 DM jeweils ab dem 1. November 1998. Dabei wies die Beklagte darauf hin, dass der Beitragszuschuss bei Eintritt von Versicherungspflicht entfalle und jede Änderung des Kranken- und Pflegeversicherungsverhältnisses unverzüglich mitzuteilen sei.

Aufgrund einer Meldung der Krankenkasse des Klägers vom 14. Juli 2008 erfuhr die Beklagte, dass der Kläger seit dem 1. April 2002 nicht mehr freiwillig, sondern pflichtversichert ist.

Mit Rentenbescheid vom 23. Juli 2008 berechnete die Beklagte die bisherige Regelaltersrente unter Berücksichtigung der Beiträge zur Krankenversicherung der Rentner (KVdR) ab dem 1. Januar 2004 neu. Für die Zeit vom 1. Januar 2004 bis zum 31. August 2008 ergebe sich eine Überzahlung von 3.607,84 €. Für die Zeit ab dem 1. September 2008 würden laufend monatlich 694,15 € gezahlt. In der Anlage 10 zu diesem Bescheid hob die Beklagte den Bescheid über die Bewill...

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