Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsärztliche Versorgung. Wirtschaftlichkeitsprüfung. Sitzung des Beschwerdeausschusses. vom Vorsitzenden protokollierter Vergleich. Formunwirksamkeit. Schriftformerfordernis

 

Leitsatz (amtlich)

Ein von dem Vorsitzenden des Beschwerdeausschusses in dessen Sitzung protokollierter Vergleich ist formunwirksam nach § 58 Abs 1 SGB X iVm § 125 BGB, weil - anders als beim gerichtlichen Vergleich - die Schriftform nicht nach § 126 Abs 4 BGB ersetzt wird, weil seine Protokollierung nicht nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung erfolgt. § 106 Abs 5 SGB V (idF v 22.12.2011) ordnet für das Verfahren vor dem Beschwerdeausschuss die Anwendung lediglich von § 84 Abs 1 und § 85 Abs 3 SGG an, nicht jedoch von § 122 SGG iVm §§ 159 bis 165 ZPO.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 26.05.2021; Aktenzeichen B 6 KA 7/20 R)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Marburg vom 3. April 2017 und der Bescheid des Beklagten vom 22. September 2015 aufgehoben und festgestellt, dass das Verfahren über den Widerspruch gegen den Bescheid der Prüfungsstelle Ärzte und Krankenkassen in Hessen vom 20. Juni 2011, korrigiert durch Bescheid vom 19. August 2011, nicht durch den Vergleich vom 29. Februar 2012 erledigt worden ist.

Der Beklagte hat die Kosten des Verfahren in beiden Instanzen zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit eines Vergleichs zum Abschluss des Verfahrens vor dem beklagten Beschwerdeausschuss.

Der Kläger nimmt seit 1984 mit einer hausärztlichen Einzelpraxis in Darmstadt an der vertragsärztlichen Versorgung teil.

Mit Schreiben vom 1. November 2010 teilte die Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen in Hessen (im Folgenden: Prüfungsstelle) dem Kläger die Eröffnung eines Verfahrens der Wirtschaftlichkeitsprüfung bezogen auf einzelne Leistungsbereiche für die Quartale I/2007 bis IV/2007 mit (Bl. 124 der Verwaltungsakte). Sie forderte den Kläger zu einer substantiierten Stellungnahme auf, worauf der Kläger nicht reagierte. Mit Bescheid vom 20.Juni 2011 (Bl. 152 der Verwaltungsakte), korrigiert durch Schreiben vom 19. August 2011 (Bl. 160 der Verwaltungsakte) setzte die Prüfungsstelle hinsichtlich der Quartale I/2007 bis IV/2007 Honorarabänderungen in Höhe von 34,50 Euro (I/2007), 52,70 Euro (II/2007), 45,00 Euro (III/2007) bzw. 68,70 Euro (IV/2007) pro Fall gegen ihn fest, insgesamt 93.528,90 Euro brutto.

Hiergegen erhob der Kläger am 18. Juli 2011 Widerspruch (Bl. 153 der Verwaltungsakte), den er knapp begründete und mit Schreiben vom 14. August 2011 (Bl. 170 der Verwaltungsakte) und vom 15. Januar 2012 (Bl. 204 der Verwaltungsakte) und weiteren undatiert übersandten Unterlagen (Bl. 213 der Verwaltungsakte) vertiefend ergänzte.

Mit Faxschreiben vom 27. Februar 2012 (Bl. 216 der Verwaltungsakte), beim Beklagten eingegangen am 28. Februar 2012, führte der Kläger aus:

„Hiermit bestätige ich Ihnen meine Teilnahme an der Anhörung am 29.02.2012. Herr C. von der KV Darmstadt, Pallaswiesenstraße 174 hat mir geraten einen Rechtsanwalt mitzubringen deshalb werde ich Herrn D. mitbringen.

VOLLMACHT

Hiermit erteile ich Herrn D. die Vollmacht mich als Rechtsbeistand Zu begleiten bei der persönlichen Anhörung in der nicht-öffentlichen Sitzung des Beschwerdeausschusses der Ärzte und Krankenkassen in Hessen am Mittwoch den 29.02.2012 um 15:30 Uhr im Sitzungszimmer 1.03 der KV Hessen.“ [Anm.: Orthographie aus Original unverändert übernommen].

An der Sitzung des Beklagten am 29. Februar 2012 nahmen der Kläger persönlich sowie Herr Rechtsanwalt D. teil. In der vom Vorsitzenden des Beschwerdeausschusses und dem Schriftführer unterzeichneten Niederschrift über diese Sitzung (Bl. 217 der Verwaltungsakte) wurde u. a. Folgendes protokolliert:

„Im Einvernehmen aller Beteiligten wird folgende einvernehmliche Regelung getroffen:

1. In Abweichung des Bescheides der Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen Hessen - Kammer Süd - vom 20.06.2011, korrigiert am 19.08.2011, verpflichtet sich Doktor A. für die Quartale I/07 bis IV/07 ein Honorarregressbetrag in Höhe von netto 20.000,00 € (zwanzigtausend Euro) zu bezahlen.

2. Es wird eine Ratenzahlung in 8 Teilraten à 2.500,00 € (zweitausendfünfhundert Euro) zugestanden. Die erste Rate in Höhe von 2.000,00 € netto soll mit der Restzahlung für das 2. Quartal 2012 verrechnet werden.

3. Es besteht Einvernehmen darüber, dass außergerichtliche Kosten - insbesondere Anwaltskosten - nicht erstattet werden.

4. Es besteht Einvernehmen darüber, dass hiermit die gesamten im Rahmen des Widerspruchsverfahrens und der Honorarabrechnung 2007 offenen Beträge abgegolten sind.

Laut vorgelesen und genehmigt.“

Die Sitzungsniederschrift übersandte der Beklagte mit Schreiben 16. März 2012 an Rechtsanwalt D. (Bl. 220 der Verwaltungsakte).

Mit Schreiben vom 15. August 2012 (Bl. 235 der Verwaltungsakte), eingegangen beim Beklagten am 18. August 2012, rügte ...

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