Entscheidungsstichwort (Thema)

Wohnsitz Ausland (EWG). Beschäftigung Inland. Grenzgänger. Alg-Anspruch. Verfügbarkeit

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Grenzgänger mit Wohnsitz im EWG-Ausland hat Anspruch auf Alg im Inland, den er nach deutschen Vorschriften erworben hat, wenn er sich dem inländischen Arbeitsmarkt zur Verfügung stellt. Sein Wohnsitz im Ausland schließt Leistungen nach inländischem Recht nicht aus. § 30 Abs. 1 SGB I steht dem nicht entgegen.

 

Normenkette

AFG § 100 (Fassung: 1969-06-25), § 103 (Fassung: 1975-06-24), § 129 Abs. 3 (Fassung: 1969-06-25); SGB I § 30 (Fassung: 1975-12-11) § 37 (Fassung: 1975-12-11); EWGV 1408/71 Art. 13 (Fassung: 1971-07-14), Art. 71 Abs. 1 Buchst. a ii (Fassung: 1971-07-14)

 

Verfahrensgang

SG Frankfurt am Main (Urteil vom 21.08.1979; Aktenzeichen S-7/Ar-634/78)

 

Nachgehend

BSG (EuGH-Vorlage vom 18.02.1982; Aktenzeichen 7 RAr 93/80)

 

Tenor

I. Das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 21. August 1979 sowie der Bescheid der Beklagten vom 7. Juli 1978 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. November 1978 werden aufgehoben.

II. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Arbeitslosengeld für den Zeitraum vom 2. Mai 1978 bis 2. Juli 1978 in gesetzlichem Umfang zu zahlen.

III. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

IV. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Zahlung von Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 2. Mai 1978 bis 2. Juli 1978.

Der im Jahre 1943 geborene Kläger, der deutscher Staatsangehöriger ist, ist seit April 1973 mit einer Belgierin verheiratet und hat zwei Kinder. Er bewohnt ein eigenes Haus in W./Belgien, ca. 15 Kilometer von der deutsch/belgischen Grenze entfernt. Seine Ehefrau ist in E./Belgien berufstätig.

Von 1968 bis Juni 1971 war der Kläger als kaufmännischer Angestellter bei der B. AG in L. vom 1. August 1971 bis 31. Dezember 1973 in Belgien und vom 23. März 1974 bis 30. April 1974 bei der Firma K. AG in W. beschäftigt. Vom 1. Mai 1974 bis 23. März 1976 bezog er von der Beklagten Unterhaltsgeld (Uhg) und erhielt anschließend vom 24. März 1976 bis 31. Mai 1976 Arbeitslosengeld (Alg). Vom 1. Juni 1976 bis 29. März 1978 war er als Exportkaufmann bei der Firma Q. & Co. KG in A. beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde durch arbeitsgerichtlichen Vergleich einvernehmlich unter Zahlung einer Abfindung von 3.000,– DM zum 31. März 1978 beendet. Für die Zeit dieser Beschäftigung wurden Beiträge zur Bundesanstalt für Arbeit entrichtet.

Am 2. Mai 1978 meldete sich der Kläger beim Arbeitsamt A. arbeitslos und beantragte Alg. Er hatte sich ab 1. Mai 1978 in A., M. Allee …, ein Zimmer gemietet, das im wesentlichen mit einem kleinen Tisch, sieben Stühlen, einer Luftmatratze und einem Kühlschrank ausgestattet war. Der Kläger war von Mai 1978 bis 17. Juli 1978 mit Hauptwohnsitz in A. polizeilich gemeldet. Mit Wirkung ab 16. Juni 1978 hatte er sich in Belgien abgemeldet.

Mit Bescheid vom 17. Juli 1978 und Widerspruchsbescheid vom 23. November 1978 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Alg unter Hinweis auf § 30 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Allgemeiner Teil (SGB I) mit der Begründung ab, der Kläger habe zur Zeit der Antragstellung weiterhin seinen Wohnsitz und seinen gewöhnlichen Aufenthalt bei seiner Familie in Belgien gehabt.

Am 3. Juli 1978 beantragte der Kläger in Belgien erneut eine Aufenthaltserlaubnis, woraufhin ihm die Gemeinde W. eine Attestation d'immatriculation für die Zeit vom 3. Juli 1978 bis 2. Oktober 1978 erteilte. Beim belgischen Versicherungsträger beantragte der Kläger ebenfalls am 3. Juli 1978 Leistungen, die ihm für die Zeit vom 3. Juli 1978 bis 31. Juli 1978 gewährt wurden. Seit 3. April 1978 war der Kläger bereits in Belgien arbeitsuchend gemeldet, ohne einen Leistungsantrag gestellt zu haben. Am 1. August 1978 nahm der Kläger eine Tätigkeit in F. auf. Er meldete sich dort polizeilich mit Hauptwohnsitz an. Am 9. April 1979 wurde dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis für Belgien bis 8. April 1984 erteilt.

Mit der am 22. Dezember 1978 erhobenen Klage machte der Kläger geltend, er habe in der Bundesrepublik Deutschland einen Primäranspruch gegen den deutschen Versicherungsträger erworben, den er lediglich ersatzweise in Belgien geltend machen könne. In der Zeit von 1963 bis 1978 habe er überwiegend Beiträge zur deutschen Renten- und Arbeitslosenversicherung entrichtet. Am 2. Mai 1978 habe er sich der deutschen Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestellt und bei Antragstellung seinen Hauptwohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland gehabt. Seine polizeiliche Abmeldung in Belgien und Anmeldung in Aachen sei zur Erleichterung der Arbeitssuche und Wahrung eigener wirtschaftlicher und beruflicher Interessen erfolgt, da er als in Deutschland ausgebildeter Betriebswirt auf dem deutschen Arbeitsmarkt bessere Vermittlungschancen hätte als auf dem belgischen. Er habe von Anfang an die Absicht gehabt, sich auf Dauer in Deutschland aufzuhalten und zu einem geeigneten Zeitpunkt seine Familie nachkommen zu las...

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