Orientierungssatz
Parallelentscheidung zu dem Urteil des LSG Darmstadt vom 14.12.1995 - L 5 V 1221/94, das vollständig dokumentiert ist.
Verfahrensgang
SG Frankfurt am Main (Urteil vom 19.11.1996; Aktenzeichen S-11/V-2869/93) |
Tenor
I. Die Berufung des Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 19. November 1996 wird zurückgewiesen.
II. Der Beklagte hat dem Kläger die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen beider Instanzen zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Entziehung von Versorgungsleistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Der 1927 geborene Kläger hat als ausländischer Staatsangehöriger seinen Wohnsitz in der Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien).
Erstmals am 1. März 1989 beantragte der Kläger bei dem Beklagten die Gewährung von Versorgungsleistung und trug vor, am 7. Oktober 1942 durch die Explosion einer Bombe das Augenlicht auf beiden Augen verloren und sich Verletzungen an den Fingern zugezogen zu haben. Er sei zu 100 % Invalide und deshalb als ziviles Kriegsopfer in seinem Heimatland anerkannt. Er erhalte dementsprechende Invalidenrente. Nach weiteren Ermittlungen erkannte der Beklagte mit Bescheid vom 7. Mai 1991 als Schädigungsfolgen
“Erblindung des rechten Auges. Verlust des linken Auges. Teilverlust der Finger 1 bis 3 rechts”
an und gewährte Beschädigtenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 100 v.H. nebst Schwerbeschädigtenzulage Stufe I und Pflegezulage Stufe III ab März 1989. Zur Begründung führte er unter anderem aus, daß die Leistung als sogenannte “Kannleistung” gemäß § 64 e Abs. 1 bzw. § 64 Abs. 2 BVG bewilligt werde.
Diesen Bescheid nahm der Beklagte ohne vorherige Anhörung des Klägers mit Aufhebungsbescheid vom 11. Januar 1993 mit Wirkung ab 1. Februar 1993 zurück und führte zur Begründung aus, daß der Bewilligungsbescheid rechtswidrig sei, da eine Doppelversorgung gemäß § 7 Abs. 2 BVG unzulässig sei. Der Kläger erhalte bereits Rente als ziviles Kriegsopfer von seinem Heimatstaat und habe deshalb keinen weiteren Anspruch nach dem BVG. Die Aufhebung sei im öffentlichen Interesse geboten. Zugunsten der Interessen des Klägers sei bereits berücksichtigt worden, daß der Grund des Zustandekommens des rechtswidrigen Bescheides allein in der Verantwortung der Deutschen Verwaltung liege. Im Rahmen der Ermessensprüfung sei die persönliche Lage des Klägers berücksichtigt worden. Die Höhe der Versorgung des Heimatstaates könne nicht zu Gunsten des Klägers berücksichtigt werden, da auf diese wirtschaftlichen Verhältnisse deutsche Verwaltungsentscheidungen keinen Einfluß hätten.
Hiergegen legte der Kläger am 17. März 1993 Widerspruch ein und trug vor, daß die Entziehung der Versorgungsleistung seiner Ansicht nach rechtswidrig sei. Sein Vertrauen sei mißachtet worden, denn er habe alle Angaben richtig und vollständig gemacht und nunmehr könne ihm nicht die Rente entzogen werden. Mit Widerspruchsbescheid vom 26. Juli 1993 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Da den Kläger kein Verschulden an der Rechtswidrigkeit des Bescheides treffe, brauche er die gezahlten Leistungen nicht zurückzuerstatten. Für die Zukunft überwiege jedoch das öffentliche Interesse. Es sei bekannt, daß der Kläger schon in jungen Jahren schwer geschädigt worden sei und in schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen lebe. Dieser Umstand treffe bei den Sozialleistungen vielfach zu und könne bei allem Verständnis nicht dazu führen, daß lebenslang fortgeführt werde, was nach dem Gesetz nicht hätte sein dürfen.
Am 10. November 1993 hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben und vorgetragen, daß ihm der Widerspruchsbescheid durch die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Belgrad am 9. Oktober 1993 zugestellt worden sei. Er hat die Ansicht vertreten, daß die Entziehung von Versorgungsleistungen rechtswidrig sei und deshalb nicht hätte erfolgen dürfen.
Mit Gerichtsbescheid vom 15. November 1996 hat das Sozialgericht den angefochtenen Bescheid und den Widerspruchsbescheid aufgehoben. In den Entscheidungsgründen hat es im wesentlichen ausgeführt, eine Aufhebung hätte nur unter den Voraussetzungen des § 45 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) er folgen können. Entscheidend sei, daß der Beklagte von dem ihm nach § 45 Abs. 1 SGB X obliegenden Pflicht zur Anwendung sachgemäßen Ermessens keinen Gebrauch gemacht habe. Der Beklagte habe seine Entscheidung nicht auf den individuellen Einzelfall des Klägers abgestellt. Vielmehr weise die Formulierung darauf hin, daß der Beklagte bei seiner Entscheidung gerade nicht die individuellen Verhältnisse des vorliegenden Falles im Auge gehabt habe, sondern solche Aspekte, die für sämtliche Fälle der Gewährung von Versorgungsleistung an zivile Kriegsopfer im ehemaligen Jugoslawien zutreffen würden. Das Fehlen jeglicher Einzelfallbezogenheit werde insbesondere dadurch deutlich, daß in einer Vielzahl von Fäl...