Entscheidungsstichwort (Thema)
Opferentschädigung. Gewalttat. Bloße Freiheitsberaubung. Psychischer Druck. Körperverletzung infolge einer panischen Flucht
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine bloße Freiheitsberaubung ist keine Gewalttat im Sinne von § 1 Abs. 1 OEG, denn ein tätlicher Angriff im Sinne dieser Vorschrift setzt eine in feindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende Einwirkung voraus.
2. Die Ausübung von psychischem Druck im Zusammenhang mit einer Freiheitsberaubung stellt noch nicht den erforderlichen tätlichen Angriff auf eine Person dar, wenn eine Gesamtschau der Ereignisse nicht geeignet ist, die Entstehung eines starken Angstzustandes nachvollziehbar erscheinen zu lassen. Die Folgen einer gleichwohl erfolgten Flucht sind demnach nicht nach § 1 Abs. 1 OEG zu entschädigen.
Normenkette
OEG § 1 Abs. 1
Verfahrensgang
SG Frankfurt am Main (Urteil vom 24.09.2003; Aktenzeichen S 24 VG 834/03) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 24. September 2003 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) i. V. m. dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Die Klägerin (1977) stellte am 30. September 2000 einen Antrag nach dem OEG. Sie gab an, am 21. September 2000 Opfer einer Gewalttat geworden zu sein. S. (im folgenden K.S.) habe sie in seiner Wohnung (F.) eingesperrt und angefangen, sie zu belästigen und verbal zu bedrohen. Als einziger Fluchtweg sei ihr das Fenster erschienen. Sie sei dann vom 3. Stock abgeklettert/abgefallen und habe sich dabei die Wirbelsäule und den Arm gebrochen sowie den Ellenbogen ausgekugelt.
Der Beklagte zog die Akte der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Frankfurt am Main in der Strafsache gegen K.S. (Az.: XXX Js XXXXX) bei. Mit Urteil des Amtsgerichts – Schöffengericht – Frankfurt am Main vom 16. August 2001 wurde K.S. wegen Freiheitsberaubung zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr verurteilt, wobei die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt wurde. Diese Entscheidung bestätigte die 24. kleine Strafkammer des Landgerichts Frankfurt am Main mit Urteil vom 10. Juli 2003. In den Strafurteilen wurden zum Sachverhalt folgende Feststellungen getroffen:
Die Klägerin sei in B. geboren, jedoch in A./Neuseeland bei ihrer Familie aufgewachsen und habe dort von 1996 bis 2000 Kunst studiert. Nach dem Abschluss des Studiums sei sie am 29. Juli 2000 zu ihrem Onkel nach I. gereist. Sie habe die Absicht gehabt, in Deutschland einen Beruf zu finden, vielleicht beim Film. Eine Woche vor dem Ereignis sei sie von I. nach K. gereist, um dort bei Verwandten bei der Weinlese zu helfen und um F. kennen zu lernen. Am 19. September 2000 sei sie erstmals nach F. gefahren und habe dort bei einem Stadtbummel auf der Zeil drei Personen – unter ihnen K.S. – kennen gelernt, die dort Tarotkarten gelegt hätten. Bei K.S. handele es sich um einen 1950 geborener Gelegenheitsarbeiter, der zwischen 1990 und 1998 in Südostasien, Australien und Neuseeland gelebt habe, wegen der Notwendigkeit einer Augenoperation aber 1998 nach Deutschland zurückgekehrt sei und seitdem in F. von Sozialhilfe gelebt habe; seine indonesische Ehefrau und sein zum Tatzeitpunkt etwa 1-jähriger Sohn hätten zu diesem Zeitpunkt noch in Indonesien gelebt. Der – in Deutschland nicht vorbestrafte – K.S. kam mit der Klägerin in englischer Sprache auf Neuseeland zu sprechen. Im Verlauf des Gesprächs äußerte K.S., er sei Künstler und lud die Klägerin in sein Studio ein. Beide begaben sich darauf hin in die Wohnung von K.S., wo sie gemeinsam Marihuana rauchten und sich über Kunst und Film unterhielten. Bei diesem Gespräch weckte K.S. bei der Klägerin die Hoffnung, er werde ihr möglicherweise Arbeit verschaffen können und bot ihr an, während seines bevorstehenden Aufenthaltes in Malaysia in seiner Wohnung zu wohnen.
Am 21. September 2000 fuhr die Klägerin erneut nach F. und suchte dort K.S. wiederum in seiner Wohnung auf in der Absicht, in näher kennen zu lernen; außerdem hoffte sie nach wie vor auf einem Job beim Film. K.S. bot ihr wiederum Marihuana an, welches sie gemeinsam rauchten und sich dabei über die beruflichen Möglichkeiten der Klägerin beim Film unterhielten. Im Verlaufe dieses Gesprächs äußerte K.S., ihre Frisur sei für eine Filmkarriere nicht vorteilhaft und bot ihr an, ihr die Haare zu schneiden. In der Annahme, K.S. verfüge über entsprechende Fähigkeiten, erlaubte ihm dies die Klägerin. Mit dem Ergebnis des Haarschnittes war die Klägerin jedoch nicht einverstanden und äußerte gegenüber K.S., dass sie nun zum Friseur gehen wolle. Dieser bat sie jedoch, bei ihm in der Wohnung zu bleiben. Als die Klägerin daraufhin ihre Schuhe wieder anziehen und die Wohnung verlassen wollte, stellte K.S. sich ihr an der Tür in den Weg und drängte sie ins Zimmer zurück. Er erkl...