Leitsatz (amtlich)

1.) Die Zahlung der Waisenrente nach § 1267 Satz 3 RVO über das 25. Lebensjahr hinaus erfordert nach dem Gesetzeswortlaut die Unterbrechung oder Verzögerung der Schul- oder Berufsausbildung vor dem vollendeten 25. Lebensjahr durch die Erfüllung des gesetzlichen Wehr- oder Ersatzdienstes. Nicht erforderlich ist es dagegen, dass der Versicherungsfall des Todes bereits vor der Ableistung der gesetzlichen Wehr- oder Ersatzdienstpflicht eingetreten ist.

2.) Durch die freiwillige Weiterverpflichtung auf insgesamt 2 Jahre verliert der Dienst nicht seinen Charakter als Grundwehrdienst im Hinblick auf den gesetzlich vorgeschriebenen sozialversicherungsrechtlichen Schutz der betreffenden Person.

 

Normenkette

RVO § 1267 S. 3

 

Verfahrensgang

SG Fulda (Urteil vom 08.07.1970)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 8. Juli 1970 dahin abgeändert, dass die Beklagte verurteilt wird, Halbwaisenrente bis zum 30. September 1970 zu gewähren.

Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die aussergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der am … 1944 geborene Kläger ist der zweite Sohn der am 5. Juni 1968 verstorbenen Versicherten H. H.. Er leistete vom 1. April 1965 bis zum 31. März 1967 Wehrdienst und nahm im Sommer 1967 die Hochschulsausbildung auf. Am 10. September 1969 heiratete er.

Die Beklagte bewilligte dem Kläger auf seinen Antrag mit dem Bescheid vom 17. August 1968 Waisenrente vom 5. Juni 1968 bis zum 31. März 1969 (Vollendung des 25. Lebensjahres).

Am 10. März 1969 beantragte der Kläger die Gewährung der Waisenrente über das 25. Lebensjahr hinaus und machte geltend, dass durch den abgeleisteten Wehrdienst sein Studium unterbrochen bzw. verzögert worden sei.

Die Beklagte wies mit dem Bescheid vom 26. März 1969 diesen Antrag zurück und führte zur Begründung aus, dass der Wehrdienst bereits vor Beginn der Waisenrente (Bezugsberechtigung) abgeleistet worden sei.

Mit seiner Klage vertrat der Kläger die Ansicht, dass aus § 1267 der Reichsversicherungsordnung –RVO– nicht zu entnehmen sei, das der Versicherungsfall des Todes seiner Mutter bereits vor Ableistung des Wehrdienstes hätte eingetreten sein müssen. Das Gesetz bestimmte schlechthin nur, dass für den Fall der Verzögerung oder Unterbrechung der Ausbildung die Waisenrente über die Vollendung des 25. Lebensjahres hinaus gewährt werde.

Die Beklagte machte dagegen geltend, dass der Versicherungsfall des Todes bereits vor dem abgeleisteten Wehrdienst hätte eingetreten sein müssen, was in dem vorliegenden Rechtsstreit nicht der Fall sei.

Das Sozialgericht Fulda hob mit dem Urteil vom 8. Juli 1970 den Bescheid der Beklagten vom 26. März 1969 auf und verpflichtete diese, die dem Kläger mit dem Bescheid vom 17. August 1968 gewährte Waisenrente für die Zeit vom 1. April 1969 bis zum 30. September 1969 weiterzugewähren. Es liess die Berufung zu. Zur Begründung führte es aus, dass aus dem Gesetz nicht zu entnehmen sei, dass bereits vor Beginn der Wehrdienstpflicht, die eine Wehrdienstzeit von 18 Monaten betragen habe, eine Bezugsberechtigung bestanden haben müsse. Diese 18-monatige Wehrdienstpflicht sei jedoch nur teilweise zu berücksichtigen, weil der Kläger im September 1969 geheiratet habe. Es könne nicht gefordert werden, dass der Wehrdienst zu einem Entgang der Waisenrente habe führen müssen. Eine derartige Einschränkung enthalte das Gesetz nicht. Es reiche aus, wenn ein zukünftiger Waisenrentenanspruch bestanden habe, ohne dass konkret vor der Wehrdienstleistung eine Waisenrente gezahlt worden sei.

Die Beklagte wendet sich mit ihrer am 23. September 1970 eingegangenen Berufung gegen das ihr am 8. September 1970 zugestellte Urteil.

Auch der Kläger legt am 18. Mai 1971 Berufung ein.

Die Beklagte ist der Meinung, dass das Sozialgericht § 1267 Satz 3 RVO unrichtig ausgelegt habe. Es sei zu fordern, dass vor Ableistung des Wehrdienstes eine Bezugsberechtigung bestanden haben müsse d.h., dass konkret die Waisenrente bereits gezahlt worden sei.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 8. Juli 1970 aufzuheben und die Klage abzuweisen sowie die Anschlussberufung des Klägers zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen und die Beklagte im Wege der Anschlussberufung zu verurteilen, ihm die Halbwaisenrente bis zum 30. September 1970 zu gewähren.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und weist darauf hin, dass sein Vater zu seiner Versicherungsrente wegen Berufsunfähigkeit von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) den Kinderzuschuss für ihn, den Kläger, erhalte. Im übrigen sei durch die Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 27.5.1970 – Az.: 1 BvL 22/63 und 1 BvL 27/67 – festgestellt worden, dass die Waisenrente auch einem verheirateten Kind zustehe.

Der Senat erhob Beweis über die Frage, ob der Kläger sich freiwillig zur Ableistung des gesetzlichen Wehrdienstes gemeldet habe und ob es sich um einen freiwilligen W...

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