Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgrenzung der abhängigen Beschäftigung von der selbständigen Tätigkeit bei einer in der Praxis eines Facharztes für Psychiatrie tätigen Psychotherapeutin
Orientierungssatz
1. Bei der Abgrenzung der abhängigen Beschäftigung von der selbständigen Tätigkeit ist von Ersterer auszugehen, wenn die Tätigkeit in einem Arbeitsverhältnis unter einer Weisungsgebundenheit verrichtet wird und eine Eingliederung in einen fremden Betrieb vorliegt. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit durch das eigene Unternehmerrisiko, eine eigene Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet.
2. Ist eine Psychotherapeutin in der Praxis eines Facharztes für Psychotherapie tätig, behandelt sie dort Patienten, die ihr durch die Organisation der Praxis angetragen werden, unterliegt sie dabei einer Kontrolle des Praxisinhabers und steht einem ihr auferlegten unternehmerischen Risiko keine unternehmerische Freiheit gegenüber, so ist von dem Bestehen einer abhängigen Beschäftigung auszugehen.
3. Dem widerspricht nicht das Fehlen eines Anspruchs auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und eines Anspruchs auf bezahlten Urlaub. Ebensowenig, dass die Psychotherapeutin berechtigt ist, für weitere Auftraggeber tätig zu werden.
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung des Klägers und der Beigeladenen zu 1) gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Wiesbaden vom 28. Mai 2015 werden zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen zu 1). Im Übrigen haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
IV. Der Streitwert wird auf 5.000 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Versicherungspflicht der Beigeladenen zu 1) zu allen Zweigen der Sozialversicherung im Zeitraum vom 1. Januar 2012 bis zum 30. Juni 2014 aufgrund ihrer Tätigkeit als psychologische Psychotherapeutin in der Praxis des Klägers streitig.
Der Kläger ist Facharzt für Psychosomatik und Psychotherapie und betreibt in A-Stadt sowie in B-Stadt eine Gemeinschaftspraxis für Psychotherapie.
Die Beigeladene zu 1) ist Dipl.-Psychologin und war in der Praxis des Klägers zunächst im Rahmen ihrer Ausbildung zur psychologischen Psychotherapeutin (Bereich Verhaltenstherapie) sozialversicherungspflichtig tätig.
Der Kläger und die Beigeladene zu 1) schlossen am 29. Dezember 2011 mit Wirkung ab dem 1. Januar 2012 einen unbefristeten Vertrag über eine freie Mitarbeit der Beigeladenen zu 1) (§ 1 Freier-Mitarbeiter-Vertrag) in der Praxis für integrative Psychotherapie und Psychosomatik (Gemeinschaftspraxis des Klägers). In dem Vertrag ist u.a. folgendes geregelt:
§ 2 Tätigkeit
Die freie Mitarbeit umfasst die eigenständige Diagnostik und psychotherapeutische Behandlung von Patienten der Praxis. Die Assistentin arbeitet selbstständig und weisungsfrei. Die Inhalte der Betreuung der Patienten orientieren sich an den Verfahrens- und Arbeitsanweisungen der Leitlinien und der Qualitätssicherungsmaßnahmen des Fachgebietes, die im Qualitätsmanagementhandbuch der Praxis niedergelegt sind. Über grundsätzliche Abweichungen in ihrem selbständigen Vorgehen informiert sie den Praxisinhaber. Die Assistentin informiert den Praxisinhaber regelmäßig und auf Wunsch über den Stand der Behandlung. ( ...) Der Praxisinhaber stellt der Assistentin einen entsprechenden Arbeitsplatz und Arbeitsmaterialien zur Verfügung. Eigene Arbeitsmaterialien und -geräte dürfen benutzt werden. Die Assistentin benutzt ein eigenes Notebook/ihren eigenen PC zur Erstellung der Psychotherapieanträge. Die schriftlichen Arbeiten erledigt sie in ihren eigenen Räumlichkeiten. Für eine bessere Erreichbarkeit nutzt sie ein eigenes (Mobil-)Telefon und trägt die entsprechenden Kosten selbst. Für bestimmte Arbeitsschritte kann sie selbst Personal auf eigene Kosten einstellen/beauftragen.
§ 3 Patientenzuteilung, Arbeitszeit, Urlaub
Der Praxisinhaber teilt der Assistentin Patienten zur selbständigen Behandlung zu. Die freie Arzt-/Psychotherapeutenwahl bleibt unberührt: Die Behandlungen dürfen von der Assistentin oder von den Patienten abgelehnt werden. Die Assistentin verpflichtet sich, eine durchschnittliche Wochenstundenzahl von 10 Therapieeinheiten bei 44 Arbeitswochen durchzuführen. Die Arbeitszeit ist frei einteilbar. Über geplante Urlaubszeiten wird der Praxisinhaber informiert. Verhinderungen bei Krankheit oder Unfall werden dem Praxisinhaber unverzüglich mitgeteilt. Die Terminabsage und -neuvereinbarung ihrer betreuten Patienten liegt in der Verantwortung der Assistentin.
§ 4 Honorar, Kostenbeteiligung, andere Auftraggeber
Die Honorarhöhe richtet sich nach den erbrachten Leistungen, dem geltenden EBM und der Gebührenordnung der Ärzte (GOA). Als Honorar wird 80,- EUR bei Privatversicherten, 55,- EUR bei Selbstzahlern und 50,- EUR bei GKV-Patienten pro Ther...