Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. erweiterte Hilfe. Aufwendungsersatz. Höhe. einzusetzendes Einkommen. Rentennachzahlung. laufende Einnahme. Berücksichtigung im Zuflussmonat. Anwendbarkeit des § 11 Abs 3 S 2 SGB 2
Leitsatz (amtlich)
Zur Berechnung der Höhe des Aufwendungsersatzes nach § 19 Abs 5 SGB XII bei flexibel bewilligten Eingliederungshilfeleistungen.
Orientierungssatz
1. Bei der Ermittlung des zu berücksichtigen Einkommens ist bei einer Rentennachzahlung nicht von einer einmaligen Einnahme im Sinne des § 82 Abs 7 SGB 12, sondern vom Regelfall des Einkommens nach § 82 Abs 1 SGB 12 auszugehen.
2. Die Vorschrift des § 11 Abs 3 S 2 SGB 2, die die Einordnung einer Nachzahlung beim Arbeitslosengeld II als einmalige Einnahme mit der Pflicht zur Aufteilung anordnet, kann nicht analog angewendet werden.
Normenkette
SGB XII § 19 Abs. 3, § 5 S. 1, § 82 Abs. 1, § 85 Abs. 1 Nrn. 1-2, § 87 Abs. 1, §§ 93, 82; SGB XII-DVO § 8 Abs. 1; SGB II § 11 Abs. 3 S. 2; Alg II-VO
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Marburg vom 23. September 2020 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
Die Beteiligten haben in beiden Instanzen keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über einen Aufwendungsersatz nach § 19 Abs. 5 SGB XII für Leistungen der Eingliederungshilfe in Gestalt von Kosten für Fachleistungsstunden (FLS) für den Monat Oktober 2018, nachdem die Klägerin in diesem Monat eine Rentennachzahlung erhalten hatte.
Die Klägerin, geboren 1991, gelernte medizinische Fachangestellte, ist infolge einer Schizophrenie in paranoider Form sowie einer Agoraphobie mit Panikstörung mit einem Grad der Behinderung von 70 als Schwerbehinderte anerkannt. Sie ist voll erwerbsgemindert und bezog eine bis zum 31. August 2020 befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung, die sich vom 16. April 2018 bis 31. Juni 2019 nach Abzug der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung der Rentner auf 1.066,19 € netto monatlich belief und ab dem 1. Juli 2019 1.100,77 € netto betrug. Die Klägerin ist äthiopische Staatsangehörige und Inhaberin einer Niederlassungserlaubnis.
Über einzusetzendes Vermögen verfügt die Klägerin nicht. Ihr entstehen monatliche Kosten an Unterkunft und Heizung von 260,00 € zzgl. Nebenkosten in Höhe von 52,00 €, wobei Einigkeit dahingehend besteht, dass der Klägerin ein Umzug aus gesundheitlichen Gründen nicht zumutbar ist, so dass der Beklagte diese Kosten vollständig bei der Bedarfsberechnung der Klägerin berücksichtigt.
Mit Bescheid vom 28. Juni 2017 (Bl. 47 d.A.) bewilligte der Beklagte der Klägerin für die Zeit vom 20. Juni 2017 bis zum 30. Juni 2018 Leistungen der Eingliederungshilfe nach §§ 53 ff. Sozialgesetzbuch, Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) in Form des Betreuten Wohnens. Bewilligt wurden 147 FLS pro Jahr zu einem Vergütungssatz von 63,95 € pro Stunde. Dabei werden die Leistungen erbracht durch die BI Sozialpsychiatrie in A-Stadt. Mit Bescheid vom 8. Oktober 2018 (Bl. 84 d.A.) bewilligte der Beklagte erneut Kosten in gleicher Anzahl von FLS pro Jahr und zum gleichen Vergütungssatz für den Zeitraum vom 1. Juli 2018 bis zum 30. Juni 2019. Mit Bescheid vom 11. Dezember 2019 (Bl. 141 d.A.) bewilligte der Beklagte der Klägerin weiterhin die Kostenübernahme in einem gesteigerten Rahmen von 198 FLS pro Jahr zum Vergütungssatz der Vorjahre für den Zeitraum vom 1. Juli 2019 bis zum 30. Juni 2020. Die Bescheide enthielten jeweils den Hinweis, dass die Bewilligung nach § 19 Abs. 3 und Abs. 5 SGB XII erfolgt.
Am 26. Oktober 2018 - also im Zeitraum der zweiten Bewilligung der FLS durch den Beklagten - erhielt die Klägerin ausweislich des vorgelegten Kontoauszuges eine Rentennachzahlung i.H.v. 2.374,54 €. Ausweislich des Bewilligungsbescheides der DRV Hessen über die Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 13. September 2018 beträgt die Nachzahlung für April bis einschließlich Oktober 2018 7.363,43 €, ab November 2018 werde monatlich 1.066,19 € bezahlt.
Im Oktober 2018 wurden 16,17 FLS (970 Minuten) erbracht.
Daraufhin forderte der Beklagte mit Bescheid vom 20. November 2019 Aufwendungsersatz nach § 19 Abs. 5 SGB XII in Gestalt des Einsatzes von Einkommen für die im Monat Oktober 2018 geleisteten Aufwendungen in Höhe von 783,39 €. Diesen Betrag ermittelte er rechnerisch wie folgt: 147 FLS/Jahr x 63,95€ / 12 Monate. Bei der Prüfung, welcher Umfang der Inanspruchnahme nach § 19 Abs. 3 i.V.m. Abs. 5 und § 87 Abs. 1 SGB XII angemessen sei, sei es gerechtfertigt in Bezug auf die bewilligte Maßnahme den Einsatz des Einkommens über der Einkommensgrenze in Höhe von 75 % zu fordern, mangels besonderer Anhaltspunkte in der Art des Bedarfs, der Art und Schwere der Behinderung oder hinsichtlich der Dauer und Höhe der erforderlichen Aufwendungen.
Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin am 22. November 2019 Widerspruch (Bl. 115 ff. der ...