Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Wegeunfall. Unterbrechung. sachlicher Zusammenhang. Vollbeweis. Selbsttötungsabsicht. Anhalten des Pkw auf freier Strecke
Leitsatz (amtlich)
Führt ein Versicherter den Zusammenstoß mit einem Fahrzeug in Selbsttötungsabsicht herbei, handelt es sich nicht um einen Unfall im Sinne des § 8 Abs 1 S 2 SGB VII. Hält ein Versicherter sein Fahrzeug auf einem versicherten Weg auf freier Strecke an, ohne dass sich Gründe hierfür nachweisen lassen, wird der innere Zusammenhang zur versicherten Tätigkeit unterbrochen. Der innere Zusammenhang zur versicherten Tätigkeit muss im Zeitpunkt des Unfallereignisses im Vollbeweis nachgewiesen sein. Die Beweislast hierfür trägt der Versicherte.
Tenor
I. Unter Zurückweisung der Berufung der Kläger wird der Tenor des Urteils des Sozialgerichts Marburg vom 29. Mai 2015 wie folgt neu gefasst: Die Klagen werden abgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Hinterbliebenenleistungen nach dem Sozialgesetzbuch Siebtes Buch - gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) streitig.
Die Klägerin zu 1. ist die Witwe des 1968 geborenen und 2013 verstorbenen E. C. (im Folgenden: Versicherter), die Kläger zu 2. und 3. sind seine Kinder. Der Versicherte war als Metallbauer in einem Betrieb in G-Stadt beschäftigt und wohnte mit seiner Familie in A-Stadt. Den Weg zwischen dem Wohnort und der Betriebsstätte legte der Versicherte am Unfalltag mit seinem Kastenwagen, einem Klein-Lkw der Marke Renault xxx, zurück. Am 10. Januar 2013 nahm der Versicherte um 7:00 Uhr seine Arbeit auf und verließ nach Angaben des Arbeitgebers zwischen 16:05 Uhr und 16:10 Uhr den Betrieb. Der Arbeitgeber gab des Weiteren an, dass der Versicherte gegen 16:30 Uhr nochmals im Betrieb gewesen sei, weil er seinen Schlüssel vergessen habe. Gegen 17:12 Uhr erlitt der Versicherte sodann einen tödlichen Unfall auf der Bundesstraße xx1 (B xx1) am Ortsausgang H-Stadt in Fahrtrichtung I-Stadt/A-Stadt, wobei er als Fußgänger von einem Lkw erfasst wurde.
Mit Unfallanzeige vom 14. Januar 2013 zeigte der Arbeitgeber der Beklagten den tödlichen Unfall an und bat um Prüfung, ob es sich um einen Wegeunfall handele. Die Beklagte leitete daraufhin Ermittlungen ein, wobei sich aus beigezogenen Presseartikeln zu dem tödlichen Verkehrsunfall Hinweise auf eine mögliche suizidale Absicht des Versicherten ergaben. Aus dem von der Beklagten daraufhin beigezogenen Vorerkrankungsverzeichnis der Krankenkasse des Versicherten ergaben sich keine Zeiten der Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Erkrankungen.
Die Beklagte zog sodann die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Kassel bei. Aus dieser ergab sich ein weiterer Verkehrsunfall des Versicherten auf der Bundesstraße xx2 (B xx2) in der Ortsumgehung von G-Stadt in Fahrtrichtung J-Stadt kurz vor der Abfahrt auf die B xx1 am 10. Januar 2013 gegen 16:50 Uhr. Im Hinblick auf diesen Verkehrsunfall gab der beteiligte Lkw-Fahrer K. gegenüber der Polizei an, dass er mit seinem Lkw die B xx2 in Fahrtrichtung J-Stadt befahren habe und er den Kastenwagen des Versicherten am Fahrbahnrand habe stehen sehen. Die Motorhaube des Klein-Lkw sei geöffnet gewesen und er habe angenommen, dass der Versicherte eine Panne habe. Er habe seinen Lkw in Richtung Fahrbahnmitte gelenkt, um sicher an dem Pannenfahrzeug vorbeifahren zu können. Als er sich kurz vor dem Fahrzeug des Versicherten befunden habe, sei der Versicherte plötzlich und unerwartet hinter der geöffneten Motorhaube hervorgesprungen und direkt in Richtung Fahrbahnmitte auf seinen Sattelzug zu gelaufen. Er habe noch eine Vollbremsung und ein Ausweichmanöver eingeleitet, habe den Anprall des Versicherten aber nicht mehr verhindern können. Seiner Erinnerung nach sei der Versicherte leicht nach vorne gebeugt hinter der Motorhaube hervorgetreten, habe sich dann aufgerichtet und sei weiter in seine Fahrspur gelaufen. Die Gangart würde er nicht als hastig, jedoch sehr zielstrebig in Richtung seines Lkw beschreiben. Der Versicherte sei am linken Arm verletzt worden. Er habe sodann angehalten und sei zu dem Versicherten gegangen, dieser habe ihm gesagt, dass lediglich der linke Arm verletzt und es nicht so schlimm sei, er würde gleich ins Krankenhaus fahren. Auf die Nachfrage, ob ein Krankenwagen erforderlich sei und er die Polizei verständigen solle, habe der Versicherte dies verneint und gesagt, dass er seine Fahrt fortsetzen könne. Auf Nachfrage habe der Versicherte zudem angegeben, dass sein Wagen Probleme mit der Zündanlage habe. Außerdem habe der Versicherte gesagt, dass er auf dem matschigen Boden im Bereich der Bankette ausgerutscht und an der Asphaltskante gestolpert sei, weshalb er auf die Fahrbahn gelangt sei. Auf nochmalige Nachfrage, ob er einen Arzt brauche, habe der Versicherte dies verneint und sich in seinen Wagen gesetzt. Er sei dann mit seinem Lkw weitergefahren, habe an der nächst...