Entscheidungsstichwort (Thema)

Teilweise Aufhebung eines Bescheides über die Gewährung einer Witwenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung aufgrund der Anrechnung einer Altersrente. Angabe des Witwenrentenbezugs bei der Antragstellung der Altersrente. keine erneute Mitteilung über den Bezug der Altersrente. grob fahrlässige Verletzung der Mitwirkungspflicht iS von § 48 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 10. grob fahrlässige Unkenntnis vom teilweisen Wegfall des Rentenanspruchs iS des § 48 Abs 1 S 2 Nr 4 SGB 10. atypischer Fall. vermeintliches Mitverschulden des Rentenversicherungsträgers bei unterbliebenem Datenaustausch zwischen den Versicherungskonten

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine grob fahrlässige Verletzung der Mitwirkungspflicht iS von § 48 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB X liegt regelmäßig dann vor, wenn während des laufenden Bezugs von Witwenrente trotz korrekter Belehrung durch den Rentenversicherungsträger der Hinzutritt der Altersrente aus eigener Versicherung nicht zum Versicherungskonto des verstorbenen Versicherten mitgeteilt wird. Dies gilt im Regelfall auch dann, wenn die eine Witwenrente bzw Witwerrente beziehende Person diese Rente im Antrag auf Altersrente aus eigener Versicherung beim selben Versicherungsträger angegeben hat (Abgrenzung zu LSG Stuttgart vom 17.5.2018 - L 10 R 3025/17).

2. Ebenso ist regelmäßig eine grob fahrlässige Unkenntnis vom (teilweisen) Wegfall des Anspruchs iS von § 48 Abs 1 S 2 Nr 4 SGB X in dieser Konstellation anzunehmen.

3. Zum Vorliegen eines atypischen Falls iS von § 48 Abs 1 S 2 SGB X und der Frage von mitwirkendem Verschulden bei unterbliebenem Datenaustausch des Rentenversicherungsträgers zwischen den Versicherungskonten.

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 26. November 2021 abgeändert und die Klage in vollem Umfang abgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander in beiden Instanzen keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Im Streit zwischen den Beteiligten steht die Rechtmäßigkeit der teilweisen Aufhebung einer Hinterbliebenenrente sowie die Erstattung von noch insgesamt 59.831,00 €.

Die 1939 geborene Klägerin ist die Witwe des 1933 geborenen und 1996 verstorbenen Versicherten D. A., mit dem sie seit 20. Februar 1959 bis zu seinem Tod verheiratet war. Die Klägerin hat nach ihren Angaben keine Berufsausbildung absolviert und hat bis zu ihrem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben als Sachbearbeiterin bei einer Versicherung gearbeitet. Sie war mit einfach gelagerten Fällen und der Prüfung u.a. von Angaben in Antragsformularen betraut.

Mit Bescheid vom 19. November 1996 bewilligte die Beklagte der Klägerin eine große Witwenrente ab dem 5. August 1996 mit einem monatlichen Zahlbetrag in Höhe von 1.280,17 DM. Die Klägerin wurde im Bescheid wie folgt auf ihre Mitteilungspflichten hingewiesen:

„Erwerbseinkommen und Erwerbsersatzeinkommen können Einfluss auf die Rentenhöhe haben. Daher besteht die gesetzliche Verpflichtung, uns das Hinzutreten oder die Veränderung von Erwerbseinkommen, das sind

- Arbeitsentgelt,

- Einkommen aus selbständiger Tätigkeit,

- vergleichbares Einkommen

oder von Erwerbsersatzeinkommen unverzüglich mitzuteilen.

Erwerbseinkommen sind, auch als Kapitalleistung oder Abfindung, folgende Leistungen:

(...)

- Versichertenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung,

(...)

Die Meldung von Veränderungen erübrigt sich bei Einkommen aus einer in der Bundesrepublik Deutschland ausgeübten versicherten Beschäftigung oder Tätigkeit oder bei Renten aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung.

(...)

Soweit Änderungen Einfluss auf den Rentenanspruch oder die Rentenhöhe haben, werden wir den Bescheid - auch rückwirkend - ganz oder teilweise aufheben und zu Unrecht erbrachte Leistungen zurückfordern.

Größere Überzahlungen können vermieden werden, wenn Sie uns entsprechend den Mitteilungspflichten umgehend benachrichtigen.“

Des Weiteren wies die Beklagte auf folgendes hin:

„Trifft eine Witwenrente oder eine Witwerrente mit Erwerbs- oder Erwerbsersatzeinkommen des Berechtigten zusammen, so ist auf die Rente Einkommen in Höhe von 40 v.H. des Betrages anzurechnen, um den das monatliche Einkommen einen dynamischen Freibetrag übersteigt.“

Mit Bescheid vom 18. März 1999 bewilligte die Beklagte der Klägerin aus eigener Versicherung antragsgemäß Altersrente für Frauen ab dem 1. Juni 1999 mit einem Zahlbetrag in Höhe von 2.517,53 DM. Der Rente liegen 57,0558 persönliche Entgeltpunkte zugrunde. Das Antragsformular des am 24. August 1998 gestellten Antrags konnte weder die Beklagte noch die Klägerin (als Duplikat) vorlegen. Eine Mitteilung über den Altersrentenbezug der Klägerin an die Beklagte unter der Versicherungsnummer des Versicherten, unter der die Witwenrente bewilligt wurde, erfolgte nicht.

Anlässlich eines Suchlaufs beim Renten-Service über den Rentenzahlbestand erlangte die Beklagte am 24. September 2019 Kenntnis davon, dass die Klägerin zeitgleich eine Hinterbliebenenrente und eine über dem Freibetrag liegende Versichertenr...

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