Nicht rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Zugang zur KVdR. Vorversicherungszeit. Neun-Zehntel-Belegung. Rahmenfrist. individuelle Erwerbsbiographie. Unterbrechung. Kindererziehung. Rentner. freiwillige Mitgliedschaft. Beitragsbemessung. Versorgungsbezüge. Gleichheitssatz. Diskriminierung. Geschlecht. sozialpolitisches Ziel

 

Leitsatz (amtlich)

§ 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V in der Fassung des Gesetzes zur Strukturreform im Gesundheitswesen vom 20. Dezember 1988 verstößt nicht dadurch gegen Art. 3 Abs. 1 GG, dass bei der Berechnung der Vorversicherungszeit auf die individuelle Erwerbsbiographie des jeweiligen Rentners abgestellt wird. Es begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, der zweiten Hälfte des individuellen Erwerbslebens innerhalb der Rahmenfrist für den Zugang zur KVdR größere Bedeutung beizumessen als der ersten Hälfte, da die zweite Hälfte zeitlich näher an den jeweiligen Leistungsfall heranreicht.

§ 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V in der betreffenden Fassung enthält keine geschlechtspezifische Benachteiligung und ist daher mit Art. 3 Abs. 2 GG vereinbar.

§ 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V in der betreffenden Fassung verstößt nicht gegen Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit. Die Verschärfung des Zugangs zur KVdR durch den nationalen Gesetzgeber dient allein dem legitimen Ziel der Erhaltung der Leistungsfähigkeit der Solidargemeinschaft und stellt keine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts dar.

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1-2; SGB V § 5 Abs. 1 Nr. 11, § 248; SGB I §§ 14-15; EWGRL 7/79 Art. 4 Abs. 1

 

Verfahrensgang

SG Marburg (Urteil vom 24.07.2003; Aktenzeichen S 6 KR 324/01)

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 24. Juli 2003 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Aufnahme als Mitglied in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR).

Die Klägerin war während ihres Beruflebens „Stationshilfe” in einem Krankenhaus und bezieht seit dem 1. Februar 2001 von der Beigeladenen Altersrente für Frauen. Neben dieser Altersrente bezieht die Klägerin Versorgungsbezüge einer kirchlichen Zusatzversorgungskasse. Den Rentenantrag hatte die Klägerin am 6. Oktober 2000 gestellt und gleichzeitig eine Meldung zur KVdR bei der Beklagten eingereicht. Die Klägerin, die am 1. April 1956 erstmalig eine Erwerbstätigkeit aufgenommen hatte, war überwiegend bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. In der Zeit vom 4. Juli 1978 bis zum 31. Juli 1982 war sie privat (über ihren Ehemann) bei der Debeka krankenversichert.

Mit Bescheid vom 11. Oktober 2000 teilte die Beklagte der Klägerin mit, sie habe keinen Anspruch auf Aufnahme als Mitglied in der KVdR. Nach den gesetzlichen Vorschriften müsse sie von der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bis zum Tag der Rentenantragstellung mindestens 9/10 der zweiten Hälfte dieses Zeitraumes pflichtversichert gewesen sein. Der für sie maßgebliche Zeitraum laufe somit vom 4. Juli 1978 (Beginn der zweiten Hälfte des Erwerbslebens) bis zum 6. Oktober 2000 (Tag des Rentenantrages). Als anrechnungsfähige Vorversicherungszeiten habe die Klägerin 18 Jahre, 2 Monate und 6 Tage nachgewiesen. Erforderlich wären indessen 20 Jahre, 0 Monate und 16 Tage. Gleichzeitig wies die Beklagte in dem Bescheid auf die Möglichkeit einer freiwilligen Mitgliedschaft hin.

Die Klägerin erhob Widerspruch und machte geltend, sie halte es für unzumutbar, dass sie, die 37 Jahre lang Mitglied der Beklagten gewesen sei, nunmehr nicht Aufnahme in der KVdR finden könne. Eine Unterbrechung der Mitgliedschaft bei der Beklagten sei nur deswegen eingetreten, weil sie während ihrer Kindererziehungszeiten über ihren Ehemann (einem Beamten) privat versichert gewesen sei. Übergangsweise beantrage sie die Aufnahme als freiwilliges Mitglied.

Mit Widerspruchsbescheid vom 12. April 2001 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Vorversicherungszeit sei nicht erfüllt. Die Zeit der privaten Krankenversicherung der Klägerin vom 4. Juli 1978 bis zum 31. Juli 1982 könne auf die Vorversicherungszeit nicht angerechnet werden.

Gegen den ihr am 12. April 2001 zugestellten Bescheid hat die Klägerin am 26. April 2001 Klage beim Sozialgericht Marburg erhoben und ihr Begehren auf Aufnahme in die KVdR weiterverfolgt.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 24. Juli 2003 die Klage abgewiesen und in den Gründen im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin erfülle nicht die Tatbestandsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 11 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) in der Fassung des Gesetzes zur Strukturreform im Gesundheitswesen vom 20. Dezember 1988 (– GRG – Bundesgesetzblatt I S. 2477). Maßgeblich für die Beurteilung sei der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung und daher sei das Gesetz in dieser Fassung anzu...

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