Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. gesetzliche Unfallversicherung. Sozialdatenschutz gem § 200 Abs 2 SGB 7. Löschungsanspruch gem § 84 Abs 2 SGB 10. Verletzung des Auswahlrechts gem § 200 Abs 2 Halbs 1 SGB 7. Abgrenzungskriterien: Gutachten. medizinische Äußerung bzw beratungsfachärztliche Stellungnahme. externer Sachverständiger mit medizinischer Fachkunde. keine betriebliche Eingliederung. Beratervertrag
Orientierungssatz
1. Zum Vorliegen eines Anspruchs gem § 84 Abs 2 SGB 10 gegen die Berufsgenossenschaft auf Löschung der von dieser im Laufe des Verwaltungsverfahrens eingeholten schriftlichen Äußerungen eines bei ihr aufgrund eines Dienstvertrages tätigen Beratungsarztes wegen Verstoßes gegen § 200 Abs 2 SGB 7 (hier: Verletzung des Gutachterauswahlrechts).
2. Hinsichtlich der Abgrenzung eines medizinischen Gutachtens von einer bloßen medizinischen Äußerung bzw Stellungnahme ist darauf abzustellen, wo der Schwerpunkt der Äußerung liegt, wozu eine Gesamtschau des die medizinische Äußerung veranlassenden Auftrags als Bezugspunkt einerseits sowie andererseits von äußerer Form, Umfang sowie Inhalt der medizinischen Äußerung selbst angestellt werden muss. Hierbei kommt es weder alleine auf die Bezeichnung noch alleine auf den Umfang bzw die äußere Form an. Von einem schwerpunktmäßig vorliegenden Gutachten kann danach auch bei nur im geringen Maße eigene Bewertungen enthaltenen Äußerungen ausgegangen werden, je mehr die äußere Form sowie der Umfang für ein Gutachten sprechen, so wie umgekehrt geringere Anforderungen an die Formalien zu stellen sind, wenn schwerpunktmäßig eigene Wertungen ohne Beschränkung auf die punktuelle Überprüfung eines bereits vorliegenden Gutachtens abgegeben werden.
3. Zu den Voraussetzungen eines externen - nicht als Teil der im datenschutzrechtlichen Sinne verantwortlichen Stelle "Berufsgenossenschaft" - tätigen medizinischen Gutachters bzw im datenschutzrechtlichen Sinne (§ 67 Abs 12 SGB 10) tätigen Dritten.
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 9. Dezember 2010 sowie der Bescheid der Beklagten vom 28. Oktober 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Januar 2009 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, unter Aufhebung des Bescheids vom 11. Januar 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. April 2007 das Gutachten des Dr. QQ. vom 23. Mai 2005 aus der Verwaltungsakte zu entfernen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die diesem entstandenen außergerichtlichen Kosten dieses Verfahrens zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 Sozialgesetzbuch 10. Buch - Verwaltungsverfahren (SGB X) die Löschung einer im Laufe des Verwaltungsverfahrens von der Beklagten eingeholten schriftlichen Äußerung eines die Beklagte beratenden Arztes aus den Verwaltungsakten streitig.
Der Kläger ist 1957 geboren und war von 1979 bis 2003 bei diversen Firmen als Techniker für Kopier- und Bürosysteme im Kundendienst tätig. Im Rahmen seiner an Kopier- und Faxgeräten durchgeführten Wartungs- und Reparaturarbeiten hatte er auch unstreitig Hautkontakt zu Reinigungs- und Poliermitteln sowie Toner, Staub und Selen. Des Weiteren war er Lösungsmitteldämpfen gegenüber Tonerstaub sowie flüchtigen Substanzen aus Reinigungs- und Poliermitteln ausgesetzt als auch Papierstaub, der beim Arbeiten aufgewirbelt wird. Im Rahmen eines Prüfungsverfahrens, bezüglich des Bestehens einer Berufskrankheit (BK) der Nr. 1317 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV), welches von der Rechtsvorgängerin der Beklagten der Großhandels- und Lagereiberufsgenossenschaft eingeleitet wurde, wurde u. a. ein arbeitsmedizinisches Sachverständigengutachten bei Frau Dr. Prof. WW. vom Institut für Arbeitsmedizin an der JX.Universität in JO. in Auftrag gegeben, die in dem unter Mitarbeit von Dr. EE. am 22. Dezember 2004 erstellten Gutachten zu dem Ergebnis kam, dass die Exposition gegenüber den Lösungsmitteln Triecloretan und Zweipropanol ausreichend gewesen sei, um eine Enzephalopathie Schweregrad II zu verursachen. Die Diagnose ergebe sich aus den Befunden einer testpsychologischen Untersuchung vom 5. Juli 2004. Weitere konkurrierende Faktoren, die die Enzephalopathie ausgelöst haben könne, seien nicht ersichtlich, weshalb das Bestehen einer BK der Nr. 1317 der Anlage zum BKV wahrscheinlich sei. Die MdE betrage 20 v. H. ab dem Zeitpunkt der Diagnose der psychischen Erkrankung im Juli 1996.
Daraufhin bat die Beklagte mit Schreiben vom 27. Januar 2005 Dr. Dipl.-Chemiker Q. QQ. vom Institut für Arbeit-, Sozial- und Umweltmedizin in RR. um die Abgabe einer “beratungsfachärztlichen Stellungnahme„, ob die Ausführungen von Frau Prof. Dr. TT. zu den arbeitstechnischen Voraussetzungen schlüssig seien oder weitere Ermittlungen des Technischen Aufsichtsdienstes für erforderlich gehalten würden. Des Weiteren wurde er um Mitteilung gebeten...