Entscheidungsstichwort (Thema)
Liposuktion als Leistung der gesetzlichen Krankenkasse
Orientierungssatz
1. § 27 Abs 1 S 1 und 2 Nr 1 SGB V (juris: SGB 5) umfasst nur solche Leistungen, deren Qualität und Wirksamkeit u. a. dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Dies ist bei neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung gemäß § 135 Abs 1 S 1 SGB V (juris: SGB 5) nur dann der Fall, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss in Richtlinien nach § 92 Abs 1 S 2 Nr 5 SGB V (juris: SGB 5) eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben hat.
2. Die Liposuktion stellt eine "neue" Untersuchungs- und Behandlungsmethode dar, die nicht als abrechnungsfähige ärztliche Leistung im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä) enthalten ist.
3. In einem Seltenheitsfall kann eine Ausnahme von diesem Erfordernis erwogen werden (hier bezüglich einer Liposuktion verneint).
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Darmstadt vom 4. Januar 2012 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander auch im Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Kostenerstattung für eine Liposuktion (Absaugung von Fettdepotansammlungen) mit 3 Behandlungseinheiten in Höhe von 7.812,24 €.
Die 1964 geborene und bei der Beklagten versicherte Klägerin litt an einem Lipödem-Syndrom der Beine und Arme. Unter Beifügung einer ärztlichen Bescheinigung von Dr. QQ., Oberarzt der Hautklinik des Klinikums B-Stadt, vom 31. Januar 2011 beantragte die Klägerin am 5. Februar 2011 die Kostenübernahme für die Durchführung einer Liposuktion in Tumeszenz-Lokalanästhesie. Dr. QQ. führte insoweit aus, dass die Behandlung in drei Sitzungen (Oberschenkel-Innenseiten, Unterschenkel, Oberarme) ambulant durchgeführt werden könne und sich die Kosten hierfür auf ca. 2.604,00 € je Sitzung beliefen. Die Behandlung sei indiziert und wirtschaftlich, da die Kompressionstherapie und Lymphdrainagen nur gegen das Ödem wirkten und langfristig gesehen deutlich kostenintensiver seien. Mit Bescheid vom 9. Februar 2011 lehnte die Beklagte den Antrag auf Kostenübernahme ab. Die Liposuktion gehöre zu den so genannten neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden und nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Der Gemeinsame Bundesausschuss müsse feststellen, ob bei der Liposuktion ein diagnostischer oder therapeutischer Nutzen nachgewiesen werden könne. Eine diesbezügliche Bewertung des Gemeinsamen Bundesausschusses liege bisher noch nicht vor. Auf den von der Klägerin am 28. Februar 2011 erhobenen Widerspruch, dem sie ein Widerspruchsattest von Dr. QQ. vom 8. März 2011 beifügte, holte die Beklagte eine sozialmedizinische Stellungnahme des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK), Dr. WW., vom 13. April 2011 ein und wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 14. Juni 2011 zurück.
Am 18. Mai 2011, 2. September 2011 und am 18. November 2011 ließ die Klägerin die Liposuktion ambulant durch Dr. QQ. an Armen und Beinen durchführen.
Gegen den Widerspruchsbescheid vom 14. Juni 2011 hat die Klägerin am 29. Juni 2011 Klage zum Sozialgericht Darmstadt erhoben und zur Begründung ausgeführt, dass sie seit der Pubertät unter schmerzhaften und dauerhaften Schwellungen der Beine und Arme gelitten habe, die dadurch deutlich verformt gewesen seien. Durch sportliche Aktivitäten und jahrelange Diäten sei keine Besserung der Beschwerden eingetreten. Es sei nicht zutreffend, dass bei ihr primär ein kosmetisch-ästhetischer Aspekt vorliege. Die Liposuktion sei die einzige Behandlung, die das krankhaft vermehrte Fettgewebe dauerhaft reduziere. Durch die von der Beklagten vorgeschlagenen Therapien sei lediglich eine kurzfristige Wirkung zu erzielen. Bei der Liposuktion handele es sich zudem um eine leitliniengerechte Therapie, die angesichts des Sozialstaatsprinzips und der Wertung des Artikels 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) dazu führe, dass die Beklagte zur Leistung verpflichtet sei. Die Beklagte hat im Klageverfahren an ihrer Rechtsauffassung, dass eine Kostenübernahme bei der unkonventionellen Methode, bei der der Gemeinsame Bundesausschuss keine Empfehlung ausgesprochen habe, nicht in Betracht komme, festgehalten. Eine lebensbedrohliche Erkrankung liege bei der Klägerin zudem nicht vor. Nach Anhörung der Beteiligten hat das Sozialgericht Darmstadt mit Gerichtsbescheid vom 4. Januar 2012 die Klage abgewiesen. Als nicht vom Gemeinsamen Bundesausschuss empfohlene neue Methode sei die ambulante Fettabsaugung bei Lipödemen grundsätzlich kein Leistungsgegenstand der GKV. Es liege zudem kein Seltenheitsfall vor und Anhaltspunkte für ein Systemversagen seien nicht ersichtlich. Auch unter Beachtung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergebe sich unter dem Blickwinkel einer grundrechtsorientierten Auslegung wege...