Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen des Anspruchs auf Erziehungsgeld für einen nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländer
Orientierungssatz
1. Ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer hat nur unter zwei Voraussetzungen Anspruch auf Erziehungsgeld: Entweder er besitzt eine Niederlassungserlaubnis und damit einen Aufenthaltstitel, der kraft Gesetzes zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt oder er verfügt über eine Aufenthaltserlaubnis, die kraft Nebenbestimmung zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt oder berechtigt hat.
2. Weder den Erziehungsbehörden, noch den Gerichten ist es eingeräumt, die von der Ausländerbehörde getroffene Entscheidung materiell-rechtlich zu überprüfen. Es kommt ausschließlich auf die tatsächliche Innehabung des Aufenthaltstitels an, der zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt. Der bloße Anspruch hierauf reicht nicht aus (BSG Urteil vom 10. 7. 2014, B 10 EG 5/14 R).
3. Eine von der Ausländerbehörde gewählte Nebenbestimmung "selbständige Erwerbstätigkeit erlaubt" erfüllt die Voraussetzung des § 1 Abs. 6 Nr. 2 1. HS BErzGG. Der Begriff Erwerbstätigkeit umfasst sowohl eine nichtselbständige Arbeit als auch eine selbständige Erwerbstätigkeit.
Tenor
I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 2. September 2015 aufgehoben, soweit es den Beklagten unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom 25. Mai 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juli 2005 verurteilt hat, der Klägerin Erziehungsgeld für das Kind D. auch für die Zeit vom 27. Januar 2005 bis 22. Dezember 2005 zu gewähren. Insoweit wird die Klage abgewiesen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
II. Der Beklagte hat der Klägerin deren notwendige außergerichtliche Kosten in beiden Instanzen zu 1/10 zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Zahlung von Erziehungsgeld nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) für das erste Lebensjahr des Kindes D. streitig.
Die 1977 in Deutschland geborene staatenlose Klägerin ist die Mutter der 2005 geborenen Zwillingskinder C. und D. Die Klägerin stellte im Mai 2005 Antrag auf Erziehungsgeld für das 1. Lebensjahr der beiden Zwillingskinder und gab unter anderem an, sie beziehe Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). Hierzu legte sie einen Bescheid der Stadt-A vom 2. Mai 2005 vor.
Aus den weiter vorgelegten Unterlagen bzw. der Aktenlage ergibt sich folgendes aufenthaltsrechtliches Bild: Aufgrund ihrer Staatenlosigkeit war die Klägerin zunächst seit dem 23. Februar 1998 im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis nach den Vorschriften des bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Ausländergesetzes (AuslG). Die zuletzt erteilte Aufenthaltsbefugnis war befristet bis zum 12. Oktober 2005. Keine der dokumentierten Aufenthaltsbefugnisse enthielt eine Nebenbestimmung, insbesondere auch nicht im Hinblick auf die Berechtigung zur Erwerbstätigkeit. Mit Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) zum 1. Januar 2005 trat das AuslG außer Kraft und die Aufenthaltsbefugnis der Klägerin galt als Aufenthaltserlaubnis (gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG) fort. Einen entsprechenden Aufenthaltstitel stellte die Ausländerbehörde der Stadt-A der Klägerin mit Datum vom 23. Dezember 2005 befristet bis zum 22. Dezember 2007 aus. Die Aufenthaltserlaubnis enthält die Nebenbestimmung, eine Beschäftigung sei nur mit Genehmigung der Ausländerbehörde erlaubt, erlaubt sei eine selbständige Erwerbstätigkeit.
Der Beklagte lehnte den Antrag auf Erziehungsgeld für das Kind D. durch Bescheid vom 25. Mai 2005 mit der Begründung ab, als Ausländerin, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder einer der Vertragsstaaten des Europäischen Wirtschaftsraumes (EU-/EWR-Bürger) habe, bestehe ein Anspruch der Klägerin auf Erziehungsgeld nur dann, wenn sie im Besitz eines besonderen Aufenthaltstitels gemäß § 1 Abs. 6 BErzGG sei. Zunächst erfülle die Klägerin nicht die Anspruchsvoraussetzungen nach dem bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Erziehungsgeldrecht unter Berücksichtigung der Regelung des § 51 Abs. 1 AuslG. Soweit für die Zeit ab dem 1. Januar 2005 das Zuwanderungsgesetz und damit auch das Aufenthaltsgesetz in Kraft getreten seien, ergebe sich auch daraus kein Anspruch der Klägerin. Die Klägerin erfülle insoweit nicht den Tatbestand des § 1 Abs. 6 BErzGG in der ab dem 1. Januar 2005 geltenden Fassung. Sofern vor diesem Zeitpunkt eine Aufenthaltsgenehmigung nach dem Ausländergesetz ausgestellt worden sei, sehe die Übergangsregelung des Aufenthaltsgesetzes zwar vor, dass eine Umdeutung der Genehmigung entsprechend dem ihrer Erteilung zu Grunde liegenden Sachverhalt bzw. Aufenthaltszweck zu erfolgen habe. Eine Prüfung ergebe jedoch, dass eine Umdeutung vorliegend nicht vorgenommen werden könne.
Die Klägerin erhob Widerspruch am 24. Juni 2005 und machte geltend, das Bundesverfassungsgericht habe am 6. Juli 2004 entschieden (1 BvR 2515/95), dass § 1 Abs. ...