Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialversicherungspflicht. Busfahrer im Linienverkehr ohne eigenes Fahrzeug. abhängige Beschäftigung. selbstständige Tätigkeit. Abgrenzung. Unternehmerrisiko. Arbeitsmittel. Weisungsgebundenheit. Tätigkeit für andere Auftraggeber. Bestimmtheit eines Betriebsprüfungsbescheids. Angabe des Prüfungszeitraums
Orientierungssatz
1. Bei der Abgrenzung der abhängigen Beschäftigung von der selbständigen Tätigkeit ist von Ersterer auszugehen, wenn die Tätigkeit in einem Arbeitsverhältnis unter einer Weisungsgebundenheit verrichtet wird und eine Eingliederung in einen fremden Betrieb vorliegt. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit durch das eigene Unternehmerrisiko, eine eigene Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet.
2. Benutzt ein Busfahrer bei seiner beruflichen Tätigkeit ein Fahrzeug seines Auftraggebers, hat er ein eigenes Unternehmerrisiko nicht zu tragen, ist er an die Vorgaben eines Fahrplans gebunden, trägt der Auftraggeber die laufenden Betriebskosten, erfolgt die Vergütung nach einem vereinbarten Stundenlohn und ist er lediglich in einem geringen Umfang für andere Auftraggeber tätig, so ist von dem Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung auszugehen.
3. Demgegenüber führen das Fehlen von Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall sowie eines Urlaubsanspruchs und das Bestehen einer freiwilligen Krankenversicherung sowie die Möglichkeit des Delegierens nicht zur Annahme einer selbständigen Tätigkeit.
Normenkette
SGB IV § 7 Abs. 1, § 28p Abs. 1; SGB V § 5 Abs. 1 Nr. 1; SGB VI § 1 S. 1 Nr. 1; SGB XI § 20 Abs. 1 S. 2 Nr. 1; SGB III § 25 Abs. 1 S. 1; SGB X § 33 Abs. 1
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Darmstadt vom 5. April 2016 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird auf 53.788,01 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen für den Beigeladenen zu 1.) für den Zeitraum vom 14. Januar 2009 bis zum 10. Dezember 2011.
Der 1956 geborene Beigeladene zu 1.) hat bei der Stadt D-Stadt seit 2005 ein Gewerbe mit der Tätigkeit "Führen und Bedienen von Fahrzeugen und Maschinen in der Land-, Forst- und Bauwirtschaft; Handel und Herstellung von regenerativen Produkten (Hackschnitzel, Holzpellets)" angemeldet. Außerdem verfügt er über eine Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung (sog. Personenbeförderungsschein).
Die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See stellte mit Bescheid vom 7. Oktober 2004 - bestätigt durch Schreiben vom 16. Oktober 2007 - fest, dass er seine damalige Tätigkeit als Busfahrer für ein Omnibus- und Reiseunternehmen als Selbstständiger ausübt.
Die Klägerin ist Inhaberin eines Reise- und Omnibusbetriebes. Sie war in dem hier streitigen Zeitraum u.a. als Dienstleister im öffentlichen Personennahverkehr in der E-Region für die Verkehrsgesellschaft Busverkehr E. GmbH mit einer Fahrzeugflotte von ca. 25 und ca. 50 (teils geringfügig) beschäftigten Busfahrern tätig und hatte mehrere Linienkonzessionen.
Der Beigeladene zu 1.) war im Zeitraum vom 14. Januar 2009 bis zum 10. Dezember 2011 aufgrund einer mündlichen Vereinbarung für die Klägerin als Busfahrer im Linienverkehr F-Stadt von montags bis freitags tätig. Im Vorfeld der Vereinbarung suchte sich der Beigeladene zu 1.) eine Linie aus dem von der Klägerin zu bedienenden Linienverkehr heraus und bot entsprechende Linienabschnitte gegen Zahlung einer Pauschale an; die Auszahlung der Pauschale erfolgte wöchentlich. Der Beigeladene zu 1.) nutzte einen Bus der Klägerin, den er vereinbarungsgemäß nicht abends auf den Betriebshof der Klägerin abstellen musste. Die Kosten für Kraft- und Schmierstoffe, Inspektion und Reparaturen trug die Klägerin. Die Reinigung des Fahrgastraumes oblag dem Beigeladenen zu 1.). Für Busreinigung (außen) und den Erwerb von Tachoscheiben übernahm der Beigeladene zu 1.) Kosten in Höhe von insgesamt 183,82 €. Der Beigeladenen zu 1.) beendete seine Tätigkeit für die Klägerin zum 10. Dezember 2011.
Im Nachgang zu einer Betriebsprüfung Ende 2011 (Prüfzeitraum: 1. Januar 2007 bis 31. Dezember 2010; Prüfbescheid vom 27. Januar 2012) führte die Beklagte bei der Klägerin eine weitere Betriebsprüfung für den Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis 31. Dezember 2012 im Hinblick auf die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1.) durch.
Nach Anhörung der Klägerin setzte die Beklagte mit Bescheid vom 29. Juni 2012 die sich aus der Prüfung ergebende Nachforderung in Höhe von 53.788,01 € fest. Die Nachforderung betreffe den Beigeladenen zu 1.) für die Zeit vom 14. Januar 2009 bis zum 10. Dezember 2011. Der Beigeladene zu 1.) sei bei der Klägerin abhängig beschäftigt gewesen und unterl...