Entscheidungsstichwort (Thema)
Anerkennung einer berufsbedingten Erkrankung als Wie-Berufskrankheit
Leitsatz (amtlich)
1. Nach derzeitigem Kenntnisstand kann ein belastungskonformes Schadensbild bezüglich des Verletzungsmusters der Knorpelschäden im Kniegelenk für die BK Nr. 2112 medizinisch-wissenschaftlich nicht benannt werden.
2. Legt der Verordnungsgeber wie im Falle der BK Nr. 2112 die Voraussetzungen für das Vorliegen einer Berufskrankheit durch Vergabe präziser Kriterien selbst fest, so besteht, wenn die Kriterien erfüllt sind, die Vermutung, dass die betreffende Krankheit durch die berufsbedingten Einwirkungen verursacht wurde. Voraussetzung ist allerdings, dass weder der zeitliche Verlauf der Erkrankung noch wesentliche konkurrierende Faktoren dieser Vermutung entgegenstehen.
3. Für die individuelle Kausalitätsprüfung im Rahmen der Feststellung der Wie-Berufskrankheit sind die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die generelle Eignung von kniebelastenden Tätigkeiten zur Verursachung einer Gonarthrose zu berücksichtigen, die zu der Aufnahme der Berufskrankheit nach BK Nr. 2112 in die Berufskrankheitenliste geführt haben.
Orientierungssatz
1. Die Bezeichnung einer Erkrankung als Listen-Berufskrankheit in der BKV führt nicht zum Erlöschen eines schon vorher entstandenen Anspruchs auf Anerkennung dieser Erkrankung als Wie-Berufskrankheit (BSG Urteil vom 2. 12. 2008, B 2 KN 1/08).
2. Die durch eine kniebelastende Tätigkeit hervorgerufene Gonarthrose wurde mit Wirkung zum 1. 7. 2009 als neue Listen-BK in die BKV aufgenommen. Haben die generellen Voraussetzungen dieser Erkrankung bereits vor diesem Zeitpunkt vorgelegen und hatte der Ärztliche Sachverständigenbeirat Sektion Berufskrankheiten eine wissenschaftliche Empfehlung bereits vor Einleitung des konkreten Anerkennungsverfahrens beschlossen, so ist die geltendgemachte beruflich bedingte Meniskusschädigung als Wie-Berufskrankheit nach § 9 Abs. 2 SGB 7 anzuerkennen.
3. Für die Beurteilung des Zeitpunkts des Eintritts der Erkrankung i. S. des § 9 Abs. 2 SGB 7 sind die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft heranzuziehen, die zu der Aufnahme der konkreten Berufskrankheit in die Berufskrankheitenliste geführt haben.
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 28. Januar 2011 und der Bescheid der Beklagten vom 4. April 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. Februar 2008 abgeändert und die Beklagte verurteilt, die bei dem Kläger am 2. März 1999 diagnostizierte Gonarthrose an beiden Kniegelenken als Wie-Berufskrankheit nach § 9 Abs. 2 SGB VII festzustellen und dem Kläger ab 26. November 2003 Rente nach einer MdE von 20 v. H. zu gewähren.
II. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Feststellung der bei dem Kläger diagnostizierten beidseitigen Gonarthrose als Wie-Berufskrankheit nach § 9 Abs. 2 SGB VII und Gewährung einer Rente wegen deren Folgen.
Der 1952 geborene Kläger ist selbstständiger Installateurmeister und in dieser Tätigkeit bei der Beklagten im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung versichert.
Ursprünglich hatte der Kläger bei der Beklagten die Anerkennung einer Berufskrankheit nach BK Nr. 2102 der Anlage zu BKV (beruflich bedingte Meniskusschäden) beantragt. Nach ablehnendem Bescheid vom 9. April 2002 und Widerspruchsbescheid vom 5. Dezember 2002 hatte er Klage bei dem damals zuständigen Sozialgericht Wiesbaden (Az.: S 13 U 10/03) erhoben. Das Sozialgericht Wiesbaden hatte ein unfallchirurgisches Gutachten bei Prof. Dr. C. und Dr. D. vom 14. Januar 2004 und ein Gutachten des Arztes für Orthopädie, Rheumatologie, Sportmedizin und Physikalische Medizin Dr. E. vom 4. Juli 2004 eingeholt. Prof. Dr. C. und Dr. D. hatten bei dem Kläger eine beidseitige hochgradige Gonarthrose und Retropatellarthrose festgestellt, Dr. E. eine fortgeschrittene Panarthrose rechts mehr als links. Dr. E. hatte u. a. ausgeführt, der Befund der Ganzkörperszintigraphie der radiologischen Gemeinschaftspraxis Dres. F. vom 18. Juni 2004 habe ergeben: "Kein Beleg für primär entzündlichen Prozess wie rheumatoide Polyarthritis. Hinweis auf aktivierte Arthrosen, vorwiegend im Bereich des rechten Kniegelenks, der Fußwurzeln (linksbetont) sowie Rizarthrose (Daumensattelgelenk) links". Die Beteiligten schlossen im Klageverfahren mit dem Az. S 13 U 10/03 am 18. Januar 2006 einen verfahrensbeendenden Vergleich, in dem sich die Beklagte verpflichtete, ein Verwaltungsverfahren wegen einer beruflich bedingten Gonarthrose nach § 9 Abs. 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) durchzuführen.
In dem im Januar 2006 eingeleiteten Verwaltungsverfahren zog die Beklagte diverse medizinische Unterlagen bei. Ihr Präventionsdienst ermittelte in seinen Stellungnahmen vom 22. November 2006 und 29. Dezember 2006 unter Heranziehung der Tätigkeitsmerkmale an Vergleichsarbeitsplätzen eine Gesamtstunde...