Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Versäumung der Klagefrist. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Verschulden. Pflicht des Adressaten eines Bescheides zur Bereithaltung einer ordnungsgemäßen Postempfangsvorrichtung. Einrichtung eines Postfaches. Erhöhte Sorgfaltspflicht
Leitsatz (amtlich)
1. Die einmonatige Klagefrist des § 87 Abs 1 S 1 SGG ist dann nicht ohne Verschulden iS des § 67 Abs 1 SGG versäumt, wenn eine ordnungsgemäße Postempfangsvorrichtung (Briefkasten) fehlt.
2. Eine ordnungsgemäße Postempfangsvorrichtung setzt voraus, dass daran der vollständige Name angebracht ist.
3. Die Einrichtung eines Postfaches ersetzt die ordnungsgemäße Postempfangsvorrichtung jedenfalls dann nicht, wenn kein Nachsendeauftrag für das Postfach erteilt worden ist.
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Darmstadt vom 28. Juni 2007 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) für die Zeit vom 19. Januar 2004 bis 31. Dezember 2004 streitig. Insbesondere ist streitig, ob dem Kläger wegen der Versäumung der Klagefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist bzw. das Sozialgericht den entsprechenden Antrag des Klägers zutreffend abgelehnt hat.
Der 1965 geborene Kläger stellte am 19. Januar 2004 Leistungsantrag (Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG). Mit Schreiben vom 11. Februar 2004 forderte der Beklagte von dem Kläger im Hinblick auf dessen Gewerbe (Kurierdienst) eine Gewinn- und Verlustabrechnung einschließlich der zugehörigen Belege. Der Kläger teilte daraufhin mit Schreiben vom 20. Februar 2004 mit, weitere Unterlagen könne er nicht vorlegen.
Durch Bescheid vom 2. Juli 2004 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers wegen fehlender Mitwirkung ab. Der Kläger habe die erforderlichen Beweismittel zur Überprüfung der Hilfebedürftigkeit trotz entsprechender Hinweise im Rahmen mehrerer Beratungsgespräche nicht vorgelegt, weshalb die beantragte Hilfe zum Lebensunterhalt zu versagen sei.
Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch am 22. Juli 2004 und machte geltend, entgegen der Auffassung des Beklagten sei er seinen Mitwirkungspflichten nachgekommen. Er habe sämtliche Kontoauszüge aller bestehenden Konten vorgelegt. Weiter habe er Excel-Tabellen zur Gewinn- und Verlustrechnung vorgelegt. Dies reiche zur Feststellung der Hilfebedürftigkeit aus, zumal bereits im Oktober 2003 das Insolvenzverfahren eröffnet worden sei. Darüber hinaus beantragte der Kläger am 27. Juli 2004 den Erlass einer einstweiligen Anordnung, den das Verwaltungsgericht Darmstadt mit Beschluss vom 17. September 2004 ablehnte. Die dagegen erhobene Beschwerde wies der Hessische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 11. April 2005 zurück.
Sodann führte der Beklagte die “Anhörung sozial erfahrener Personen„ durch, übersandte dem Prozessbevollmächtigten des Klägers die entsprechende Niederschrift vom 13. Juli 2005 und wies durch Widerspruchsbescheid vom 27. Juli 2005 den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, zwar obliege dem Sozialhilfeträger die Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen, verbleibende Zweifel gingen jedoch zu Lasten des Hilfebedürftigen, weil dieser die materielle Beweislast für das Vorliegen der Hilfsbedürftigkeit trage. Hier sei der Kläger seiner Substantiierungspflicht nicht nachgekommen. Er habe trotz mehrmaliger Aufforderung nicht dargelegt, in welcher Höhe er Einkünfte erziele und aus welchen Mitteln er seinen Lebensunterhalt bestreite. Vielmehr seien die finanziellen Verhältnisse des Klägers völlig ungeklärt geblieben. Insoweit reiche der Hinweis auf eine eingetretene Insolvenz nicht aus. Der Widerspruchsbescheid ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers ausweislich des entsprechenden Eingangsstempels am 29. Juli 2005 zugestellt worden.
Der Prozessbevollmächtigte fragte mit Schreiben vom 18. August 2005 unter Hinweis darauf, gegen den Widerspruchsbescheid könne bis zum 29. August 2005 Klage erhoben werden, bei dem Kläger an, wie weiter vorzugehen sei. Eine Antwort hierauf ging zunächst nicht ein. Mit E-Mail vom 7. November 2005 bat der Kläger seinen Prozessbevollmächtigten um Mitteilung des Sachstandes und insbesondere um Mitteilung, ob eine Klage bereits vorbereitet sei. Der Prozessbevollmächtigte teilte daraufhin dem Kläger mit E-Mail vom 8. November 2005 mit, auf sein Schreiben vom 18. August 2005 sei er ohne Nachricht geblieben, weshalb er davon ausgegangen sei, dass ein Klageverfahren nicht durchgeführt werden solle. Er empfahl dem Kläger, wegen der abgelaufenen Klagefrist einen neuen Antrag zu stellen.
Am 17. November 2005 erhob der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten Klage und beantragte im Hinblick auf die versäumte Klagefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Der Prozessbevollmächtigte trug vor, da bis zum 29. August 2005 keine Rea...