Leitsatz (amtlich)
Nach § 539 Nr. 9 a RVO ist auch eine Person gegen Arbeitsunfall versichert, die dadurch Hilfe leistet, daß sie die drohende Gefährdung eines erheblichen Sachwertes abwendet (hier: Abschleppen eines Pkw).
Normenkette
RVO § 539 Nr. 9a
Verfahrensgang
SG Darmstadt (Urteil vom 17.02.1971) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 17. Februar 1971 sowie der Bescheid vom 22. September 1970 aufgehoben.
II. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin aus Anlaß des tödlichen Unfalls ihres Ehemannes am 21. Januar 1970 die Leistungen aus der Unfallversicherung in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
III. Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
IV. Die Beklagte hat die der Klägerin entstandenen außergerichtlichen Verfahrenskosten zu erstatten.
V. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Gewährung von Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach dem Tode ihres Ehemannes, des Landwirts G. H. (H.). Dieser hat am 21. Januar 1970 in der Nähe seines Hofes den auf einem vereisten Feldweg steckengebliebenen Pkw des U. M. (M.) mit Hilfe seines Traktors ein Stück angezogen. Nach dem H. dann in Rückwärtsgang wieder weggefahren war, stürzte er mit dem Traktor nach etwa 60 m eine Böschung hinunter und verunglückte dabei tödlich. M. war in der Nacht vorher mit einer Begleiterin auf den Feldweg gefahren. Als er nach etwa 1 Stunde wieder wegfahren wollte, drehten die Räder durch. Nachdem sein Versuch, den Pkw mit Hilfe eines Mietwagens wieder flott zu machen, mißlungen war, bat er den Fahrer dieses Wagens, ihm jemand zur Hilfeleistung zu schicken. Dieser benachrichtigte den H., der von M. für seine Tätigkeit 20,– DM erhielt.
Die Klägerin wandte sich zunächst an die Land- und Forstwirtschaftliche Berufsgenossenschaft D., die jedoch die Gewährung einer Unfallentschädigung mit Bescheid vom 4. März 1970 ablehnte, weil kein wesentlicher Zusammenhang zwischen dem versicherten landwirtschaftlichen Unternehmen und der Tätigkeit, die zum Tode des H. geführt habe, gegeben sei. Dieser Bescheid ist rechtsverbindlich geworden.
Auch die Beklagte lehnte es ab, der Klägerin eine Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren. Mit Bescheid vom 22. September 1970 hat sie die Auffassung vertreten, die Voraussetzungen des § 539 Abs. 1 Nr. 9 a der Reichsversicherungsordnung (RVO) lägen nicht vor.
Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin beim Sozialgericht Darmstadt am 17. Oktober 1970 Klage erhoben, die mit Urteil vom 17. Februar 1971 abgewiesen worden ist. Bei der Tätigkeit des H. habe es sich nur um eine Art Pannenhilfe gehandelt. Die Voraussetzungen des § 539 Abs. 1 Nr. 9 a RVO lägen nicht vor, weil für M. keine schleunige Hilfe erforderlich gewesen sei. Auch habe er weder einen moralischen noch rechtlichen Anspruch auf Hilfe gehabt.
Gegen das ihr am 2. März 1971 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 31. März 1971 Berufung eingelegt. Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts habe ein Unglücksfall im Sinne des § 539 Abs. 1 Nr. 9 a RVO vorgelegen, denn M. sei nicht in der Lage gewesen, sein Fahrzeug ohne fremde Hilfe auf dem plötzlich vereisten Feldweg fortzubewegen. Dadurch sei eine Gefährdung erheblicher Sachwerte entstanden. Da H. in dieser Situation Hilfe geleistet habe, sei er nach der genannten Bestimmung bei der Beklagten gegen Unfall versichert gewesen.
Sie beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 17. Februar 1971 sowie den angefochtenen Bescheid vom 22. September 1970 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr aufgrund des tödlichen Unfalls ihres Ehemannes die gesetzlichen Leistungen aus der Unfallversicherung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie führt u.a. aus, unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung seien nur solche Tatbestände gestellt, derentwegen gem. § 330 c des Strafgesetzbuches (StGB) bei unterlassener Hilfeleistung eine Bestrafung zu erfolgen habe, so daß es auf die Rechtsprechung zu dieser Bestimmung ankomme. Danach sei eine Sachgefahr nur dann als ausreichend anzusehen, wenn die Voraussetzungen einer Gemeingefahr vorlägen. M. habe sich nicht in einer Notsituation befunden, denn er habe am nächsten Morgen einen Abschleppdienst beauftragen können. Auch sei kein erheblicher Sachwert gefährdet gewesen.
Die durch Beschluß vom 14. Januar 1972 beigeladene Berufsgenossenschaft für Fahrzeugshaltungen, Hamburg, trägt folgendes vor: Die Frage, ob auch der private Pkw-Besitz eine Unternehmenstätigkeit darstelle, sei noch nicht verbindlich geklärt. In diesen Fällen genüge es aber nicht, daß eine Tätigkeit dem „Unternehmen” diene. Vielmehr müsse es sich um eine Tätigkeit handeln, die typischerweise sonst von Personen verrichtet zu werden pflege, die zu dem bedienten Unternehmen in einem Verhältnis persönlicher oder wirtschaftlicher Abhängigkeit ständen. Die Tätigkeit müsse dem allgemeinen Erwerbsleben zugänglich sein. Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Pe...