Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialversicherungspflicht bzw -freiheit. Tätigkeit einer Ärztin für die Hessische Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge (HEAE). ambulante Behandlung von Flüchtlingen. Durchführung von Erstuntersuchungen und Infektionsschutz. Vereinbarung. Auftragsverhältnis. abhängige Beschäftigung. selbstständige Tätigkeit
Orientierungssatz
Zur sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung einer Tätigkeit als Ärztin für die Hessische Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge (HEAE), die im Bereich der ambulanten medizinischen Versorgung für Flüchtlinge Erstuntersuchungen und Aufgaben des Infektionsschutzes durchführt und Sprechstunden abhält (hier: abhängige Beschäftigung).
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 3. November 2021 wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert wird auf 5.000 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darum, ob die Beigeladene in ihrer Tätigkeit als Ärztin für die Hessische Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge (HEAE) in der Zeit vom 27. Oktober 2015 bis 30. März 2017 abhängig beschäftigt gewesen ist.
Die 1947 geborene Beigeladene ist Fachärztin für Chirurgie. Sie war in dem Zeitraum vom 27. Oktober 2015 bis 30. März 2017 bei der HEAE als Ärztin tätig. Während ihrer Tätigkeit hat die Beigeladene Untersuchungen durchgeführt und Sprechstunden abgehalten an insgesamt zwei verschiedenen Standorten.
Die HEAE wurde nach dem Erlass des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport vom 30. September 2016 mit Wirkung zum 18. November 2016 als selbstständige Behörde im nachgeordneten Bereich des Regierungspräsidiums Gießen aufgelöst und mit ihrem Aufgabenbestand als Abteilung VII „Flüchtlingsangelegenheiten, Erstaufnahmeeinrichtung und Integration" in das Regierungspräsidium Gießen eingegliedert. Rechte und Pflichten aus der Vereinbarung mit der HEAE sind ab dem 18. November 2016 auf das Regierungspräsidium Gießen übergangen.
Die Tätigkeit der Beigeladenen für die HEAE erfolgte auf der Grundlage der zwischen dem Kläger und der Beigeladenen getroffenen Vereinbarung vom 28. Oktober 2015. Diese Vereinbarung lautete:
§ 1 Vertragsgegenstand und Status des Vertragspartners
(1) Die Vertragspartnerin erbringt medizinische Dienstleistungen im Auftrag der HEAE in der Außenstelle A-Stadt, in freiberuflicher Tätigkeit im Bedarfsfälle. Sie ist nicht in die Arbeitsorganisation der HEAE eingegliedert. Das Entgelt erfolgt fallbezogen. Die Dienstleistungen unterliegen nicht der Sozialversicherungspflicht (Arbeitslosen-, Kranken- und Rentenversicherung).
(2) Die nachfolgende Vereinbarung regelt für den Fall eines Einsatzes die Rahmenbedingungen.
(3) Die Vertragspartnerin legt als Nachweis über die Zulassung zur Berufsausübung eine Kopie der Approbationsurkunde vor.
§ 2 Leistungen des Vertragspartners während der vereinbarten Einsatzzeit
(1) Die Vertragspartnerin übernimmt die ambulante medizinische Versorgung für Ausländer, die in der HEAE untergebracht sind, im Rahmen der Vorgaben nach § 4 Asylbewerberleistungsgesetz (Anlage 1).
Dazu gehört
• die Behandlung von Krankheiten, gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Verletzungen, soweit dies ambulant möglich ist,
• Anordnung von Überweisungen an Fachärzte bzw. Einweisungen in Kliniken
• Dokumentation aller ärztlichen Leistungen (in der Patientendatei der HEAE) unter Beachtung des Datenschutzes.
(2) Sie übernimmt zudem Aufgaben, die sich maßgeblich aus den § 62 Asylverfahrensgesetz sowie § 36 Infektionsschutzgesetz und der dazu jeweils getroffenen Erlassregelungen des Hess. Ministeriums für Arbeit, Familie und Gesundheit (zurzeit Erlass vom 04.02.2009, Az.: IV 6 A 58a 0101-0002/2008/001 - StAnz. 2009 S. 544 - Anlage 2) zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten ergeben. Die Erstuntersuchung beinhaltet gemäß beigefügtem Erlass über die ärztliche Untersuchung von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern und anderen Personen nach Einreise in Hessen vom 04.02.2009 (siehe Anlage 2)
1. Aufnahme und Dokumentation der bestehenden Medikation
2. Rezeptur der notwendigen Medikation
3. Anamnese, Diagnostik und Dokumentation einer akut beklagten Erkrankung. Während der Erstuntersuchung erbrachte Ambulanzleistungen werden nicht zusätzlich vergütet.
Ausgenommen von der Erstuntersuchung sind die Röntgenuntersuchungen.
Erforderlichenfalls hat die Vertragspartnerin alle erforderlichen Maßnahmen nach dem Infektionsschutzgesetz einzuleiten.
(3) Die Vertragspartnerin führt die vertraglichen Leistungen zeitlich nach Vereinbarung durch.
(4) Ein Not- oder Bereitschaftsdienst der Vertragspartnerin außerhalb der vereinbarten Präsenzzeiten ist nicht vorgesehen.
§ 3 Leistungen der HEAE
(1) Die HEAE stellt der Vertragspartnerin adäquate Räumlichkeiten, Geräte, Inventar, Verbandsstoffe u. ä.; sowie Medikamente und Impfstoffe zur Durchführung medizinischer Untersuchungen und der medizinischen Versorgung kosten...