Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialversicherungspflicht bzw -freiheit. Abgrenzung der abhängigen Beschäftigung von der selbständigen Tätigkeit bei einem Fahrradkurier
Orientierungssatz
Unterliegt ein Fahrradkurier keinerlei Weisungen seines Arbeitgebers hinsichtlich Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung seiner Tätigkeit und ist er nicht in dessen Betriebsorganisation eingegliedert, ist er in der Ausführung seiner Arbeit frei und hat er die Anschaffungs- und Wartungskosten seines Fahrrads allein zu tragen, so ist vom Bestehen einer selbständigen Tätigkeit auszugehen.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 15. März 2018, der Bescheid vom 24. Juli 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Januar 2003 sowie der Bescheid vom 28. März 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Mai 2013 aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass die Beigeladene zu 1) aufgrund ihrer Tätigkeit für die Klägerin in der Zeit vom 1. September 1994 bis zum 31. August 2000 nicht der Versicherungspflicht in der Gesetzlichen Kranken- und Sozialen Pflegeversicherung, in der Gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitslosenversicherung unterlag.
Die Beklagte trägt die Kosten beider Instanzen mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist der sozialversicherungspflichtige Status der Beigeladenen zu 1) aufgrund ihrer Tätigkeit als Fahrradkurierin in der Zeit von September 1994 bis einschließlich August 2000 streitig.
Geschäftsgegenstand der Klägerin, frühere Bezeichnung A.-Service GmbH - AX. GmbH, ist die Durchführung von Transportleistungen aller Art, soweit diese nicht durch Gesetz oder Verordnung genehmigungspflichtig sind (Handelsregister B des Amtsgerichts Frankfurt am Main HRxxx1).
Die Klägerin und die Beigeladene zu 1) schlossen am 2. September 1994 eine als „Anschlussvertrag“ bezeichnete schriftliche Vereinbarung mit folgendem wesentlichen Inhalt:
(Nr. 1 des Vertrags) Die Klägerin unterhalte eine Vermittlungszentrale. Die Beigeladene zu 1) erhalte über die Funkzentrale der Klägerin Aufträge zur Durchführung von Transportdienstleistungen gegen Kreditscheine der Klägerin.
(Nr. 2 des Vertrags) Die Beigeladene zu 1) erhalte von der Klägerin ein Funkgerät zur Durchführung der Aufträge. Zur Sicherstellung der Verfügbarkeit eines Funkgeräts, habe die Beigeladene zu 1) sich in die Anwesenheitsliste für Zweiradkuriere einzutragen, die wöchentlich erstellt werde und im Stadtbüro ausliege. Die Beigeladene zu 1) verpflichtete sich zur sorgfältigen Behandlung des Funkgeräts und zur Haftung für vorsätzlich oder fahrlässig daran entstandene Schäden. Die Klägerin habe den Anspruch auf Zahlung der nach Nr. 7 des Vertrags vereinbarten Vermittlungsgebühr auch, wenn ihre Funkanlage nicht benutzbar sei.
(Nr. 3 des Vertrags) Die Klägerin schließe für die Funkanlage eine Schwachstromversicherung und trage deren Kosten, deren Versicherungsschutz auch Diebstahl- und Elementarschäden umfasse. Lehne die Versicherung eine Schadensregulierung ab, hafte die Beigeladene zu 1) für alle entstandenen Schäden.
(Nr. 4 des Vertrags) Die Beigeladene zu 1) verpflichte sich, am 15. und an jedem Monatsletzten alle bis dahin ordnungsgemäß unterschriebenen Kreditscheine abzurechnen und der Klägerin zu übergeben. Die Klägerin schreibe der Beigeladene zu 1) den nach den Kreditscheinen erzielten Umsatz gut.
(Nr. 5 des Vertrags) Die Beigeladene zu 1) erhalte am 15. und am 30. des Monats per Verrechnungsscheck 50% des, nach Abzug sämtlicher Forderungen der Klägerin, verbleibenden Betrags des Vormonats. Im Falle eines Negativsaldos sei die Beigeladene zu 1) innerhalb von 3 Werktagen zum Ausgleich verpflichtet.
(Nr. 6 des Vertrags) Die Klägerin übernehme als Vermittlerin keine Haftung für abgeschlossene Fahraufträge und garantiere nicht die Vermittlung von Fahraufträgen, auch für den Fall, dass sie wegen technischer Störung ihrer Zentrale oder des Netzbetreibers keine Aufträge vermitteln könne. Könne aus Verschulden der Klägerin keine Aufträge vermittelt werden, entfalle die Verpflichtung der Beigeladenen zu 1) zur Zahlung der Vermittlungsgebühr für diesen Zeitraum. Eine weitergehende Haftung der Klägerin sei ausgeschlossen.
(Nr. 7 des Vertrags) Die Beigeladene zu 1) verpflichte sich an die Klägerin monatlich im Voraus eine Vermittlungsgebühr in Höhe von 100,00 DM zzgl. der gesetzlichen Mehrwertsteuer zu zahlen sowie eine Bearbeitungsgebühr in Höhe von 15% ihres Gesamtumsatzes.
(Nr. 8 des Vertrags) Die Klägerin habe eine Transportversicherung abgeschlossen, deren Kosten sie trage. Im Fall, dass diese im Schadensfall die Übernahme und Regulierung eines Schadens ablehne, hafte die Beigeladenen zu 1), wenn sie am Entstehen des Schadens Vorsatz oder Fahrlässigkeit treffe.
(Nr. 11 des Vertrags) Die Beigeladene zu 1) verpflichte sich unverzüglich zur Anmeldung eines Gewerbes, sowie zur Einleitung aller Maßnahmen, die zur Durchführung eines selbstst...