Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialversicherungspflicht. Beschäftigung eines Familienangehörigen. Ehegatte. familienhafte Mithilfe. abhängige Beschäftigung. selbständige Tätigkeit. Abgrenzung. Rechtsmacht. Firmeninhaber
Leitsatz (amtlich)
1. Eine abhängige Beschäftigung in einer Einzelfirma eines nahen Familienangehörigen liegt auch dann vor, wenn nach den tatsächlichen Umständen des Einzelfalles der als Arbeitnehmer geführte (leitende) Angestellte oder Fremdgeschäftsführer auf Grund seiner Stellung in der Familie faktisch vollkommen freie Hand in der Führung der Geschicke des Unternehmens hat und wie ein Alleininhaber "frei Schalten und Walten kann".
2. Maßgeblich ist allein die Rechtsmacht des Firmeninhabers. Im Konfliktfall, zB wenn es zu einer familiären Trennung kommt und die familiären Rücksichtnahmen ein Ende haben, kann von den vertraglich niedergelegten Befugnissen jederzeit wieder Gebrauch gemacht werden, so etwa auch von einem Weisungs- und Kündigungsrecht. Es ist daher konsequent und im Hinblick auf größtmögliche Rechtssicherheit geboten, eine von Anfang an latent vorhandene Rechtsmacht auch dann für eine abhängige Beschäftigung ausschlaggebend sein zu lassen, wenn von ihr konkret (noch) kein Gebrauch gemacht worden ist.
Tenor
Auf die Berufung der Beigeladenen zu 1. wird das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 4. September 2009 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander in beiden Instanzen keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Klägerin im Rahmen ihrer Tätigkeit für den Betrieb ihres Ehemannes, dem Beigeladenen zu 2., in der Zeit vom 1. Januar 2001 bis 30. November 2008 abhängig beschäftigt war und damit der Sozialversicherungspflicht unterlag.
Die 1972 geborene Klägerin hat den Beruf der Schneiderin und Näherin erlernt. Der Versicherungsverlauf der Beigeladenen zu 1. und Berufungsklägerin weist für sie ab 20.07.1989 mit Unterbrechungen durch Zeiten der Arbeitslosigkeit mit Leistungsbezug Pflichtbeitragszeiten zur gesetzlichen Rentenversicherung, insbesondere ab 1. April 1999 aus. Seit 1. Dezember 2008 ist die Klägerin auf Minijob-Basis im Betrieb ihres Ehemannes tätig. Sie wird bei der Beklagten seit 1. Januar 2001 als krankenversichertes Pflichtmitglied geführt.
Der Ehemann der Klägerin betreibt in D-Stadt einen Kundendienst für Hausgeräte des Herstellers XY.. Bis zum 31.12.2000 hatte er dieses Handelsgeschäft in Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts mit Herrn D. D. geführt. Letzterer war auf Grund notariellen Vertrages vom 13. August 2001 aus dieser Gesellschaft ausgeschieden. Der Ehemann der Klägerin führte sodann entsprechend dem Notarsvertrag das Handelsgeschäft als Einzelhandelskaufmann unter der Firma D. & A. e.K., Inhaber B. A., fort. Die Klägerin war im streitgegenständlichen Zeitraum in dieser Firma tätig, wobei sie für das Ladengeschäft und die Buchführung zuständig war, während ihr Ehemann den Reparaturbetrieb führte. Die Klägerin erhielt für ihre Tätigkeit ein monatliches Entgelt, das regelmäßig auf ein privates Konto überwiesen wurde, für das Lohnsteuer entrichtet wurde und das als Betriebsausgabe gebucht wurde. Das Steuerberaterbüro erstellte die für die Klägerin bestimmten monatlichen Lohn- und Gehaltsabrechnungen mit Angaben zu Urlaubs- und Krankheitstagen. Die Firmenbuchhaltung und die Steuererklärungen wurden gleichfalls von dieser Steuerberaterkanzlei erstellt. Die Eheleute sind gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt worden. Die Einkommensteuerbescheide für 2001 und die Folgejahre weisen für den Ehemann Einkünfte aus Gewerbebetrieb und für die Klägerin Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit aus. Ein schriftlicher Anstellungs- oder Arbeitsvertrag existiert nicht.
Am 27. Juli 2006 beantragte die Klägerin bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten festzustellen, dass sie seit 1. März 1996 nicht der Sozialversicherungspflicht im Rahmen ihrer Tätigkeit für die Firma ihres Ehemannes unterliege. In dem Feststellungsbogen zur sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung teilten die Klägerin und ihr Ehemann mit, die Klägerin sei für den kaufmännischen Bereich sowie für die Einstellung und Einarbeitung von Personal zuständig. Sie übe ihre Tätigkeit im Betrieb sowie im Home Office aus. Das durchschnittliche wöchentliche Arbeitsvolumen richte sich nach dem Bedarf. Auch die Arbeitszeit sei nicht fest, sondern erfolge nach ihrem Belieben. Ohne ihre Mitarbeit hätte eine andere Arbeitskraft eingestellt werden müssen. Sie könne ihre Tätigkeit frei bestimmen und gestalten. Sie wirke aufgrund besonderer Fachkenntnisse bei der Weiterführung des Betriebs mit. Die Mitarbeit sei aufgrund familienhafter Rücksichtnahme durch ein gleichberechtigtes Nebeneinander zum Betriebsinhaber geprägt. Regelungen zu Urlaub oder Arbeitsunfähigkeit seien nicht getroffen worden. Ihr Gehalt entspreche nicht dem tariflichen bzw. dem ortsüblichen Lohn, weil dieser aus familienhafter Rücksichtnahme den wirtschaftl...