Entscheidungsstichwort (Thema)

Verwertungspflicht einer ausbezahlten Lebensversicherung zur Beseitigung der Hilfebedürftigkeit bei Bezug von Leistungen der Grundsicherung

 

Orientierungssatz

1. Bei der Auszahlung einer Lebensversicherung handelt es sich nicht um Einkommen i. S. von § 11 SGB 2, sondern um Vermögen i. S. von § 12 SGB 2. Allein durch die Auszahlung der Kapital-Lebensversicherung, die bisher schon zum Vermögen des Hilfebedürftigen gehörte, ist diese nicht zum Einkommen geworden.

2. Ist vorhandenes Vermögen verwertbar, so ist es zur Deckung des monatlichen Bedarfs heranzuziehen, mit der Folge, dass Hilfebedürftigkeit ab dem Zeitpunkt des Zuflusses nicht mehr vorliegt.

3. Hat der Betroffene mit der Lebensversicherung einen Verwertungsausschluss - etwa zur Altersvorsorge - nicht vereinbart, so kann er sich auf eine Vermögensschonung nach § 12 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 SGB 2 nicht berufen.

4. Die Annahme eines Verwertungsausschlusses wegen des Vorliegens einer besonderen Härte setzt nach § 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 6 Alt. 2 SGB 2 nicht allein den Verlust der Altersvorsorge voraus, sondern, dass der erwerbsfähige Hilfebedürftige kurz vor dem Rentenalter seine Ersparnisse für die Altersvorsorge einsetzen muss. Verlust der Altersvorsorge und dessen Zeitpunkt, nämlich beides zusammen mit einer bestehenden Versorgungslücke, sind erst geeignet, eine besondere Härte zu begründen.

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 12. Mai 2016 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander in beiden Instanzen keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Aufhebung bewilligter Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) mit Wirkung ab 1. September 2013.

Der 1950 geborene Kläger zu 1. war bis 1993 als Geschäftsstellenleiter einer Elektrofirma pflichtversicherungsfrei beschäftigt. Nach Verlust seines Arbeitsplatzes und anschließender 2-jähriger Arbeitslosigkeit nahm er eine selbständige Kaufmannstätigkeit auf.

Im Jahr 2005 beantragten er und seine 1954 geborene Ehefrau, die Klägerin zu 2., bei dem Beklagten Leistungen nach dem SGB II. Sie waren zu diesem Zeitpunkt 55 (Kläger zu 1.) bzw. 51 Jahre alt (Klägerin zu 2.). In dem Antrag gaben sie an, neben anderen Vermögenswerten, auch über eine Lebensversicherung des Klägers zu 1. bei der D. (früher: E. Versicherung) zu verfügen. Versicherungsbeginn war ausweislich des vorgelegten Versicherungsscheins (Bl. 41 der Verwaltungsakte des Beklagten Bd. I künftig: VA) der 1. Juli 1990; Versicherungsablauf der 1. Juli 2013, mithin ein Zeitpunkt wenige Monate nach Vollendung des 63. Lebensjahres des Klägers zu 1. Der Rückkaufswert zum 1. September 2005 betrug 28.973,99 € (Bl. 44 VA Bd. I).

In einem Aktenvermerk vom 15. Dezember 2005 (Bl. 44 VA Bd. I) wurde von Seiten des Beklagten festgestellt, dass der Kläger zu 1. als Selbständiger auf die Lebensversicherung als Altersvorsorge angewiesen sei. Im Folgenden wurden sodann an die Kläger als Bedarfsgemeinschaft fortlaufend Leistungen nach dem SGB II ohne Berücksichtigung dieser Lebensversicherung bewilligt. Während in dem vorläufigen Bescheid vom 22. November 2006 (Bl. 153 VA Bd. I) vom Kläger zu 1. zunächst noch ein Nachweis über die Rückstellung der Verwertung der Kapital-Lebensversicherung gefordert wurde, teilte der Beklagte in dem Bescheid vom 4. Januar 2007 (Bl. 166 VA Bd. I) ausdrücklich mit, dass eine Rückstellung der Verwertung der Kapital-Lebensversicherung nicht erforderlich sei, da der Kläger zu 1. laut eigenen Angaben von der Rentenversicherungspflicht befreit und seine Kapital-Lebensversicherung für die Altersvorsorge bestimmt sei.

Mit Bescheid vom 20. Juni 2013 (Bl. 110 VA Bd. V) wurden den Klägern vorläufig (ergänzende) Leistungen für den Leistungszeitraum vom 1. Juli 2013 bis 31. Dezember 2013 in Höhe von 932,- € monatlich bewilligt. Dabei erfolgte die vorläufige Bewilligung aufgrund des in monatlich unterschiedlicher Höhe zufließenden Einkommens des Klägers zu 1. aus seiner selbständigen Tätigkeit.

Nachdem der Kläger zu 1. die Auszahlung der Versicherungssumme aus der Kapital-Lebensversicherung angezeigt hatte, teilte er mit Schreiben vom 21. August 2013 auf Nachfrage des Beklagten mit, dass er außer der fälligen Lebensversicherung keine weiteren Altersvorsorgevermögen angespart habe.

Mit Bescheid vom 27. August 2013 (Bl. 144 VA Bd. V) hob der Beklagte daraufhin unter Bezugnahme auf § 48 SGB X den Bescheid vom 20. Juni 2013 mit Wirkung zum 1. September 2013 - also mit Wirkung für die Zukunft - auf und führte zur Begründung aus, dass aus der Lebensversicherung ein Betrag in Höhe von 55.000,- € ausbezahlt worden sei. Dieser Betrag müsse vorrangig für den Lebensunterhalt eingesetzt werden, da kein Verwertungsausschluss bestehe und auch keine besondere Härte vorliege.

Hiergegen legten die Kläger am 5. September 2013 (Bl. 156 VA Bd. V) Widerspruch ein und führten aus, das...

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