Entscheidungsstichwort (Thema)
Erstattungsanspruch. Aufrechnungsanspruch. Konkurrenzverhältnis. Prioritätsprinzip. Einschränkung. Zusammenarbeit. Leistungsträger
Leitsatz (amtlich)
1. Das von der Rechtsprechung entwickelte sogenannte Prioritätsprinzip zum Konkurrenzverhältnis von Erstattungsansprüchen im Verhältnis zu anderen Verfügungen wird durch den in § 86 SGB 10 enthaltenen Grundsatz der Verpflichtung der Leistungsträger zur engen Zusammenarbeit eingeschränkt.
2. Der endgültig zur Leistung verpflichtete Rentenversicherungsträger darf zur Befriedigung einer eigenen Forderung zu Lasten der erstattungsberechtigten Krankenkasse nicht auf die Rentennachzahlung zurückgreifen, da er sich im Gegensatz zur Krankenkasse an die laufende Rente des Leistungsempfängers halten kann.
Tatbestand
Die Klägerin macht gegenüber der Beklagten einen Erstattungsanspruch in Höhe von 11.499,22 DM geltend.
Die Klägerin hatte dem Beigeladenen, der seit dem 2. Juni 1992 arbeitsunfähig erkrankt war, ab dem 14. Juli 1992 Krankengeld gewährt. Den Antrag des Beigeladenen vom 14. Dezember 1992 auf Bewilligung von Rehabilitationsleistungen deutete die Beklagte mit Schriftsatz vom 29. Juni 1993 in einen Rentenantrag um. Vorsorglich meldete die Klägerin daraufhin mit Schriftsatz vom 8. September 1993 einen Erstattungsanspruch bei der Beklagten an, da der Anspruch auf Krankengeld nachträglich für die Zeit entfalle, in der Rente oder Übergangsgeld erbracht werde. Mit Bescheid vom 11. November 1993 bewilligte die Beklagte dem Beigeladenen Rente wegen Erwerbsunfähigkeit rückwirkend ab dem 1. Dezember 1992. Der Rentenbescheid enthält die Feststellung, für die Zeit vom 1. Dezember 1992 bis zum 31. Dezember 1993 betrage die Nachzahlung 26.764,01 DM. Mit Schreiben vom 13. Dezember 1993 machte die Klägerin gegenüber der Beklagten die Abrechnung des Erstattungsanspruchs nach § 50 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - SGB V i.V.m. § 103 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialdatenschutz und Sozialverwaltungsverfahren - SGB X in Höhe von 23.585,73 DM geltend.
Mit Schreiben vom 9. Dezember 1993 und vom 8. Februar 1994 teilte die Beklagte der Klägerin mit, sie lehne eine Erfüllung des geltend gemachten Erstattungsanspruchs ab, da sie selbst einen Aufrechnungsanspruch gegenüber dem Beigeladenen habe. Obgleich dessen Ehefrau am 11. Mai 1979 verstorben sei, habe dieser deren Rente bis zum 31. Oktober 1993 weiter auf sein Bankkonto erhalten und verbraucht. Der Beigeladene sei mit Schreiben vom 1. Dezember 1993 zur beabsichtigten Aufrechnung angehört worden. Die Aufrechnung gehe dem Erstattungsanspruch nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) vor, da der Bereicherungsanspruch gegenüber dem Beigeladenen bereits 1979 entstanden sei.
Mit Bescheid vom 9. März 1994 rechnete die Beklagte gegenüber dem Beigeladenen den Rückforderungsbetrag von 74.591,08 DM auf, und zwar derart, dass von der monatlich zu zahlenden Erwerbsunfähigkeitsrente ab dem 1. Mai 1994 monatlich 858,84 DM zur Tilgung einbehalten wurden und für den Nachzahlungszeitraum zur Hälfte aufgerechnet wurde (12.086,46 DM).
Die zweite Hälfte der Nachzahlung leitete die Beklagte an die Klägerin in (Teil) Erfüllung des geltend gemachten Erstattungsanspruchs weiter.
Die Klägerin hat am 16. September 1994 Klage erhoben und vorgetragen, ihr Erstattungsanspruch sei mit der Leistung von Krankengeld für die Zeit vom 1. Dezember 1992 bis zum 13. November 1993 entstanden. Die Anmeldung für den Erstattungsanspruch sei vorsorglich am 8. September 1993 und endgültig am 13. Dezember 1993 erfolgt. Die Aufrechnung sei ihr gegenüber mit Schreiben vom 8. Februar 1994 erklärt worden. Erst mit der Erklärung gemäß § 388 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) werde die Aufrechnung indes wirksam. Der allgemeine Erstattungsanspruch gehe somit dem Aufrechnungsanspruch vor.
Das Sozialgericht hat hinsichtlich des verfügbaren Einkommens des Beigeladenen Auskünfte der Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes VVAG vom 9. Oktober 1997 sowie von der Bau-Berufsgenossenschaft vom 28. Oktober 1997 eingeholt.
Mit Urteil vom 12. Januar 1998 hat das Sozialgericht die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 11.499,25 DM zu zahlen. In den Entscheidungsgründen hat das Gericht ausgeführt, die Klage sei nach § 103 SGB X begründet, und sich dabei auf die frühere Rechtsprechung des BSG zu § 183 Abs. 3 Satz 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) berufen. Nach dieser Rechtsprechung bringe die von einem Rentenversicherungsträger erklärte Aufrechnung mit Beitragsrückständen den Nachzahlungsanspruch auf Rente jedenfalls insoweit nicht zum Erlöschen, als die Krankenkasse die Rentennachzahlung für sich beanspruche. Der Forderungsübergang nach § 183 Abs. 3 Satz 2 RVO gehe einer nach § 1299 RVO bestehenden Aufrechnungsmöglichkeit vor. Während der Rentenversicherungsträger sich nämlich uneingeschränkt an die noch laufende Rente halten könne, sei die Krankenkasse auf den Nachzahlungsanspruch angewiesen. Für diesen Teil des Re...