Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Arzneimittel. Gewährung des Herstellerrabatts. Abstellen auf die konkrete Abgabeform. Verfassungsmäßigkeit

 

Orientierungssatz

1. Die Eröffnung der Möglichkeit des Direktvertriebsweges eines Arzneimittels an Krankenhäuser und Ärzte nach § 47 Abs 1 S 1 Nr 2 Buchst a AMG (juris: AMG 1976) im Wege der Ausnahmeregelung bewirkt keine Entbindung der pharmazeutischen Unternehmen von der Verpflichtung zur Leistung des Herstellerrabattes im Falle der Abgabe des Arzneimittels durch öffentliche Apotheken an Versicherte auf der Grundlage personifizierter ärztlicher Verordnungen.

2. Darin liegt keine Verletzung der Grundrechte der Apotheker bzw der pharmazeutischen Unternehmen aus Art 3 und Art 12 GG.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 29.04.2010; Aktenzeichen B 3 KR 3/09 R)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beigeladenen wird das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 6. Juni 2007 abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger 2.805,92 € als Herstellerrabatt für die Abgabe von 26 Packungen Berinert ®P in der Zeit vom Januar bis einschließlich Juni 2004 nebst 5 % Zinsen über den Basisdiskontsatz der Europäischen Zentralbank ab dem 11. August 2005 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers und der Beigeladenen beider Instanzen zu tragen.

Der Streitwert wird auf 2.805,92 € festgesetzt.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um den Anspruch des Klägers auf den Herstellerrabatt gemäß § 130a Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) in der Zeit von Januar bis einschließlich Juni 2004 in Höhe von 2.805,92 €.

Der Kläger ist Inhaber einer Apotheke in A-Stadt und Mitglied im Hessischen Apothekenverband e.V. Die Beklagte stellt das Blutderivat Berinert ®P her und vertreibt es im Bundesgebiet. Es handelt sich dabei um einen aus menschlichem Plasma gewonnenen Plasmaglycoprotein C1-Esterase-Inhibitor, der intravenös injiziert oder infundiert zur Behandlung des erblichen Angioödems eingesetzt wird. Auf der Grundlage des zwischen dem Deutschen Apothekerverband und dem Verband der Angestellten-Krankenkassen geschlossenen Arzneibelieferungsvertrages gab der Kläger im streitigen Zeitraum insgesamt 26 Packungen des Blutderivates Berinert ®P an Versicherte der Beigeladenen nach ärztlicher Verordnung in seiner Apotheke ab.

Im Rahmen der Leistungsabrechnung nahm die Beigeladene gegenüber dem Kläger eine Abrechnungskorrektur (Retaxierung) für den streitigen Zeitraum in Höhe von insgesamt 2.910,13 € vor. Auf den Einspruch des Klägers lehnte die Beigeladene eine Änderung der Abrechnungskorrektur ab. Zur Begründung führte die Beigeladene aus, sie könne von den Apotheken gemäß § 130a Abs. 1a SGB V einen Abschlag in Höhe von 16 % des Herstellerabgabepreises (Apothekenrabatt) im Jahr 2004 verlangen. Denn bei der Abgabe zu Lasten einer Krankenkasse in einer öffentlichen Apotheke gelte ein einheitlicher Herstellerabgabepreis, auch wenn bei der Abgabe des gleichen Humanplasmas durch das pharmazeutische Unternehmen gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 2a Arzneimittelgesetz (AMG) direkt an Krankenhäuser und Ärzte eine freie Preisgestaltung möglich sei.

Der Kläger forderte die Beklagte auf (Schreiben vom 16. Juni 2005), einen Betrag in Höhe von 2.964,00 € nebst Anwaltsgebühren in Höhe von 265,70 € als Herstellerrabatt gemäß § 130a Abs. 1 Satz 2 SGB V bis zum 30. Juni 2005 zu zahlen. Dies lehnte die Beklagte ab.

Daraufhin hat der Kläger am 11. August 2005 Klage vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben, das den Rechtsstreit mit Beschluss vom 24. Oktober 2005 an das örtlich zuständige Sozialgericht Darmstadt verwiesen hat.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, nach dem Arzneimittellieferungsvertrag sei bei der Abgabe in einer öffentlichen Apotheke allein der zum Zeitpunkt der Abgabe in der Großen Deutschen Spezialitätentaxe/Lauer-Taxe aufgeführte Herstellerabgabepreis von Bedeutung. Weiter führte er aus, die Beklagte habe ihm gemäß § 61 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) in Verbindung mit dem VdAK-Arzneimittelvertrag einen Verzugsschaden in Form von Verzugszinsen gemäß §§ 286, 288 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zu zahlen. Zumindest habe er Anspruch auf Prozesszinsen gemäß § 94 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ab Klageeingang am 11. August 2005 (Bundessozialgericht, Urteil vom 4. März 2004, Az.: B 3 KR 4/03).

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, sie sei nicht zur Zahlung eines Herstellerrabattes verpflichtet, da es einen einheitlichen Herstellerabgabepreis für das Blutderivat Berinert ®P nicht gebe, da dieses Blutderivat gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 2a AMG nicht nur in Apotheken, sondern mit freier Preisgestaltung auch im Direktvertrieb an Krankenhäuser und Ärzten abgegeben werden könne. Dementsprechend habe z. B. die Bundesknappschaft zwischenzeitlich von einer Retaxierung gegenüber Apotheken Abstand genommen. Zur Unterstützung ihrer Auffassung, für Berinert ®P sei mangels eines einheitlichen Abgabepreises k...

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