Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Antragstellung für ein sich vorübergehend im Ausland aufhaltendes Familienmitglied. Rückwirkung auf den Monatsersten. kein Leistungsausschluss wegen Ortsabwesenheit bei Rückkehr im Antragsmonat. Beratungspflicht

 

Leitsatz (amtlich)

Wird für eine bislang nicht im Leistungsbezug nach dem SGB II stehende, erwerbsfähige, hilfebedürftige Person mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland ein Antrag nach dem SGB II gestellt und befindet sich die betreffende Person im Zeitpunkt der Antragstellung im Ausland, so wirkt der Antrag nach § 37 Abs 2 S 2 SGB II gleichwohl auf den Monatsersten zurück. Kehrt die betreffende Person im Kalendermonat der Antragstellung nach Deutschland zurück, so steht § 7 Abs 4a SGB II aF iVm § 3 EAO (juris: ErreichbAnO) einem Leistungsanspruch für den gesamten Kalendermonat der Antragstellung nicht entgegen, ohne dass es darauf ankäme, ob das Jobcenter für die Restdauer des Auslandsaufenthalts im Kalendermonat der Antragstellung seine Zustimmung erteilt.

 

Normenkette

SGB II a.F. § 7 Abs. 4a; SGB II § 7 Abs. 1, § 37 Abs. 2 S. 2; EAO § 3; SGB I § 14

 

Tenor

I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 16. Februar 2016 wird zurückgewiesen.

II. Der Beklagte hat der Klägerin auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) für die Zeit vom 1. April 2015 bis 23. April 2015.

Die 1971 auf Kuba geborene Klägerin ist Mutter von zwei 1997 und 1999 geborenen Kindern. Seit 1999 ist sie mit einem 1947 geborenen Deutschen verheiratet und mittlerweile deutsche Staatsangehörige. Ihr Ehemann bezieht Altersrente in Höhe von ca. 1.032,- €.

Im April 2013 beantragte die Klägerin für sich und ihre Kinder erstmals Leistungen nach dem SGB II, die ihnen aber wegen fehlender Hilfebedürftigkeit abgelehnt wurden. Die Klägerin erhielt in der Folge bis März 2015 Kinderzuschlag (KIZ) von der Familienkasse und Wohngeld. Den Weiterbewilligungsantrag auf Kinderzuschlag lehnte die Familienkasse mit Bescheid vom 19. März 2015 ab und verwies auf einen möglichen Anspruch gegen den Beklagten. Hiergegen legte die Klägerin am 23. März 2015 Widerspruch ein.

Am 4. April 2015 und anlässlich einer nachfolgenden persönlichen Vorsprache am 9. April 2015 stellte der Ehemann der Klägerin beim Beklagten einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II. Er teilte bei Antragstellung mit, dass sich die Klägerin derzeit in Kuba aufhalte und am 24. April 2015 zurückkehren werde. Tatsächlich kehrte die Klägerin wegen einer Verzögerung ihres Fluges erst am 25. April 2015 nach Deutschland zurück.

Mit an die Klägerin adressiertem Bescheid vom 30. April 2015 gewährte der Beklagte (im Hinblick auf die Kosten der Unterkunft und Heizung vorläufig) Leistungen nach dem SGB II für die beiden Kinder ab 1. April 2015 bis 30. September 2015. Der Klägerin bewilligte der Beklagte - ohne dies zu begründen - Leistungen lediglich für die Zeit vom 24. April 2015 bis 30. September 2015. Dabei legte der Beklagte die Kosten der Unterkunft und Heizung für die Zeit vom 1. April 2015 bis 23. April 2015 auf drei Wohnungsnutzer und für die Zeit ab 24. April 2015 auf vier Nutzer um.

Am 8. Mai 2015 legte der Ehemann der Klägerin für seine Frau Widerspruch gegen den Leistungsbescheid vom 30. April 2015 ein mit der Begründung, dass für ihn die Ablehnung des KIZ-Antrages und damit die Erforderlichkeit der Meldung beim Jobcenter nicht absehbar gewesen seien. Er halte es nicht für gerechtfertigt, dies der Klägerin zum Nachteil werden zu lassen. Im Übrigen lägen Krankmeldungen für sie für April vor, sodass sie nicht zur Vermittlung zur Verfügung gestanden habe.

Mit Änderungsbescheiden vom 8. Mai 2015 und 17. Juni 2015 änderte der Beklagte die Bewilligung von Leistungen hinsichtlich Kosten der Unterkunft und Heizung ab und nahm keine Wohngeldanrechnung mehr vor. An der Leistungsbewilligung für die Klägerin erst ab 24. April 2015 änderte sich nichts.

Auf Anfrage des Beklagten vom 25. Juni 2015 zu Zeitraum und Zweck des Kubaaufenthalts äußerte die Klägerin laut Aktenvermerk des Beklagten in einer persönlichen Vorsprache am 13. Juli 2015, dass sie am 31. Januar 2015 in Kuba eingereist und am 24. April 2015 wieder ausgereist sei. Sie habe am 28. Januar 2015 einen Anruf bekommen, wonach ihr Vater auf der Intensivstation sei. Daraufhin habe sie am 29. Januar 2015 den Hinflug für den 31. Januar 2015 und den Rückflug für den 24. April 2015 gebucht. Ihr Vater sei dann vor ihrer Ankunft verstorben, die Beerdigung habe am 1. Februar 2015 stattgefunden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 23. Juli 2015 wies der Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, dass nach § 7 Abs. 4a SGB II Leistungsberechtigte keine Leistungen erhielten, wenn sie sich ohne Zustimmung des zuständigen Trägers außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs au...

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