Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Berufskrankheit gem BKV Anl 1 Nr 1317: Polyneuropathie oder Enzephalopathie. Krankheitsbild. Nachweis im Vollbeweis. Berufskrankheit gem BKV Anl 1 Nr 1302: Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoff. Gärtnergehilfe)
Leitsatz (amtlich)
Zum Vollbeweis von Erkrankungen des peripheren und zentralen Nervensystems auf Grund der Einwirkung von Pflanzenschutzmitteln im Rahmen der Berufskrankheiten BKV Anl 1 Nr 1317 und Nr 1302.
Orientierungssatz
1. Als Enzephalopathie bezeichnet man nichtentzündliche Erkrankungen oder Schädigungen des Gehirns unterschiedlicher Genese. Es handelt sich streng genommen nicht um eine Diagnose, sondern um einen Oberbegriff für Strukturschädigungen und Funktionsstörungen des Gehirns. Unter einer toxischen Enzephalopathie versteht man ein Krankheitsbild, das Folge einer direkten oder indirekten Schädigung des Gehirns oder von Teilen des Gehirns durch exogen aufgenommene oder im Stoffwechsel entstandene neurotoxisch wirkende Stoffe ist. Das Krankheitsbild unterscheidet sich in den wesentlichen Symptomen nicht von anderen Enzephalopathieformen. Kernsymptome sind: verminderte Konzentrationsfähigkeit, Merkschwäche, Schwierigkeit beim Erfassen und Behalten von Informationen, Antriebs- und Affektstörungen mit Nachlassen von Initiativen, mit erhöhter Reizbarkeit, Verstimmungszuständen und Veränderungen der Primärpersönlichkeit sowie eine außergewöhnliche Ermüdbarkeit oder rasche Erschöpfbarkeit.
2. Zu den Diagnosekriterien der Enzephalopathie gehören als objektive Symptome und Befunde der Nachweis typischer Kernsymptome, die nicht auf andere Ursachen zurückgeführt werden können, typische kognitive Leistungsdefizite, typische Zeichen von organisch bedingten affektiven Störungen und der Nachweis von Tremor, Ataxie und Koordinationsstörungen. An bildgebenden Verfahren für einen Nachweis kommen eine kraniale Computertomographie (CCT) oder eine MRT in Betracht.
3. Als mögliche Krankheitsbilder durch die Einwirkung eines Halogenkohlenwasserstoffes gem BKV Anl 1 Nr 1302 stehen nach dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand akute und/oder chronische Schädigungen verschiedener Körperorgane im Vordergrund. Hierzu gehören das zentrale Nervensystem (toxische Enzephalopathie), das periphere Nervensystem (Neuropathien, vor allem der Hirnnerven), Schädigungen der Leber, Nieren und anderer parenchymatöser Organe, des Herzens und des Kreislaufs, des Blutes, der Atemwege und der Lungen sowie auch Hautveränderungen (lokale Infektionen und Ekzeme). Darüber hinaus können verschiedene Halogenkohlenwasserstoffe Krebserkrankungen verursachen.
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 20. Januar 2015 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, inwieweit eine Vielzahl von Erkrankungssymptomen des Klägers auf seine Tätigkeit als Gartenbaugehilfe mit Einsatz von Schädlingsbekämpfungsmitteln zurückzuführen und deshalb als Berufskrankheit (BK) im Sinne des § 9 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) anzuerkennen ist. Der Kläger begehrt eine BK nach der Nr. 1317 (Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische), nach der Nr. 1302 (Erkrankungen durch Halogen-Kohlenwasserstoffe) und nach der Nr. 1307 (Erkrankungen durch organische Phosphorverbindungen) jeweils der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV).
Der 1969 geborene Kläger, gelernter Gärtnergehilfe, arbeitete von September 1988 bis Ende 2001 (unterbrochen durch die Bundeswehrzeit) bei verschiedenen Zierpflanzenbetrieben. Seit dem Jahr 2002 ist er nicht mehr berufstätig und lebt von Sozialhilfe. Im Rahmen seiner Beschäftigung verrichtete er auch Pflanzenschutzarbeiten. Während seiner Berufstätigkeit konnte er in der Winterzeit 2-3 Monate Urlaub nehmen und nutzte diese zu Reisen nach Südamerika, Australien, Asien, Neuseeland und Afrika, wobei er sich verschiedene Virus-Infekte zuzog.
Im Juli 2001 machte die Krankenkasse des Klägers bei der Beklagten einen Erstattungsanspruch geltend. Anbei leitete sie der Beklagten die Ärztliche Anzeige des Nervenarztes Dr. C. vom 28. Juni 2001 über eine BK wegen Pestiziden zu. Darin gab der Arzt als Diagnose an:
Neuropathie, Myopathie, deutliche Leistungstörungen in Teilbereichen, deutliche Störungen der Glukose-Utilisation im PET.
Im weiteren Verlauf des Verfahrens legte der Kläger bei der Beklagten einen Befundbericht des Facharztes für Allgemeinmedizin - Umweltmedizin Dr. D. vom 10. Januar 2002 vor, der bei dem Kläger
MCS - Multiple Chemikaliensensitivität
diagnostiziert hatte, sowie ein ärztliches Gutachten der Arbeitsamtsärztin Dr. E. vom 4. April 2002 vor, die bei ihm diagnostiziert hatte:
Chronisches Erschöpfungssyndrom mit Empfindungsstörungen der Hände und Muskelschwäche bei chronischer Überempfindlichkeit nach langjähriger toxischer Belastung während seiner ber...