Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Rückerstattung zwischen Leistungsträgern gem § 112 SGB 10. zu Unrecht erfolgte Erstattung. Ausschluss gem § 111 SGB 10. Anwendbarkeit des § 111 S 2 SGB 10. Erstattungsanspruch gem § 105 SGB 10. sachliche Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers gegenüber dem leistungsberechtigten Versicherten. keine Unterscheidung zwischen Geld- oder eine Sachleistung
Leitsatz (amtlich)
1. § 111 S 2 SGB X findet auf Erstattungsansprüche gem § 105 SGB X Anwendung. Die Möglichkeit einer Eingrenzung des Anwendungsbereichs auf einzelne Erstattungsnormen scheidet aufgrund der Gesetzesbegründung und des Wortlauts der Vorschrift aus.
2. Voraussetzung der Anwendung des § 111 S 2 SGB X ist, dass eine sachliche Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers gegenüber dem leistungsberechtigten Versicherten bereits vorliegt oder zumindest in Betracht kommt. Eine Entscheidung gegenüber dem erstattungsberechtigten Leistungsträger reicht nicht aus.
3. Im Hinblick auf die Anwendung des § 111 SGB X spielt es keine Rolle, ob dem Erstattungsanspruch eine Geld- oder eine Sachleistung zugrunde liegt.
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt vom 24. Februar 2021 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 7.718,26 EUR zu zahlen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig zwischen den Beteiligten ist die Rückerstattung eines Betrags von 7.718,26 EUR aufgrund eines Arbeitsunfalls vom 26. November 2008 des bei der Klägerin und der Beklagten versicherten A. A. (Versicherter).
Ab dem 9. Januar 2009 zahlte die Beklagte nach einem Arbeitsunfall aufgrund der „Verwaltungsvereinbarung Generalauftrag Verletztengeld“ Verletztengeld an den Versicherten und reichte bei der Klägerin Erstattungsaufforderungen ein, die die Klägerin beglich. Mit Schreiben vom 12. Februar 2009 meldete die Klägerin vorsorglich einen Erstattungsanspruch bei der Beklagten an. Die Beteiligten verzichteten gegenseitig auf die Einrede der Verjährung.
Mit Bescheid vom 11. Februar 2010 teilte die Klägerin dem Versicherten mit, dass eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit nur bis einschließlich 6. Januar 2009 bestanden habe. Am gleichen Tag sandte die Klägerin außerdem ein Schreiben an die Beklagte, in dem sie mitteilte, dass die unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit mit Ablauf des 6. Januar 2009 geendet habe und - soweit noch nicht geschehen - die Verletztengeldzahlung einzustellen sei. Erneut wurde vorsorglich ein Erstattungsanspruch geltend gemacht. Auf telefonische Nachfrage der Klägerin teilte die Beklagte am 9. April 2010 mit, dass Verletztengeld zuletzt bis einschließlich 5. Januar 2010 gezahlt worden sei und ab dem 6. Januar 2010 dann Krankengeld.
Der Versicherte ging nach erfolglosem Widerspruch gegen die Ablehnung weiterer Leistungen durch die Klägerin ins Klageverfahren. Mit Gerichtsbescheid vom 11. Juli 2013 stellte das Sozialgericht Lüneburg fest, dass der Versicherte unter einer chronifizierten mittelgradig bis schweren depressiven Episode mit posttraumatischen Anteilen als Folge des Arbeitsunfalls leide. Auf Aufforderung der Klägerin teilte die Beklagte mit Schreiben vom 26. August 2013 mit, dass dem Versicherten Arbeitsunfähigkeit vom 28. November 2008 bis zum 27. Mai 2010 bescheinigt worden sei.
Mit Bescheid vom 9. Juni 2015 bewilligte die Klägerin dem Versicherten eine Rente ab dem 28. Mai 2010. Am 15. Juni 2015 wandte sie sich an die Beklagte und gab an, dass die Arbeitsunfähigkeit bis einschließlich 27. Mai 2010 Folge des Arbeitsunfalls gewesen sei, die Beklagte möge für die Zeit vom 6. Januar 2010 bis zum 27. Mai 2010 das Verletztengeld berechnen und einen hierbei bestehenden Differenzbetrag zum Krankengeld auszahlen. Soweit sich kein Differenzbetrag ergebe, werde um „Fehlanzeige“ gebeten. Am 17. November 2015 wurde der Krankengeldfall ab dem 6. Januar 2010 storniert und das Verletztengeld berechnet bzw. der AU-Fall auf Verletztengeld umgestellt. Die Beklagte teilte dann am 19. November 2015 mit, dass sich kein Differenzbetrag ergeben habe.
Am 26. November 2015 forderte die Beklagte die Klägerin erstmals auf, einen Betrag von 11.403,16 EUR gem. § 105 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren - SGB X für die Zeit vom 6. Januar 2010 bis zum 27. Mai 2010 zu erstatten. Die Klägerin wies daraufhin einen Betrag von 7.718,26 EUR (Krankengeld i.H.v. 9.542,40 EUR abzüglich Rentenerstattung von 1.824,14 EUR) aufgrund des von der Beklagten zu viel gezahlten Krankengelds an. In einem hierzu an die Beklagte verfassten Schreiben vom 2. Dezember 2015 ging sie näher auf den gezahlten Betrag ein. In der Folgezeit setzten sich die Beteiligten weiter darüber auseinander, inwieweit die Klägerin erstattungspflichtig war.
Zwei Jahre später forderte die Klägerin die Beklagte mit Schreiben vom 21. November 2017 auf, den Betrag von 7.718,26 EUR gem. § 112 SGB X zurückzuerstatten....