Rz. 96
Liegt neben dem öffentlichen Testament ein eigenhändiges Testament vor, so bleibt es bei der Regel des Abs. 1 S. 1, sofern die Erbfolge (auch) auf dem privatschriftlichen Testament beruht. Eine Erbfolge allein aufgrund öffentlichen Testaments liegt vor, wenn das privatschriftliche Testament widerrufen wurde, ungültig ist oder ersichtlich keine Erbeinsetzung enthält. Weil der Erbschein nicht nur das Erbrecht, sondern, wenn unbeschränkt erteilt, auch die Verfügungsberechtigung nachweist, scheidet Abs. 1 S. 2 schon bei einer nachfolgend privatschriftlich angeordneten Testamentsvollstreckung aus, ebenso bei einer privatschriftlichen Ergänzung durch eine Verwirkungsklausel. Gleiches gilt, wenn das nachfolgende privatschriftliche Testament die Erbeinsetzung des öffentlichen Testaments exakt identisch wiederholt. Vereinzelt wurde ein Erbschein für entbehrlich gehalten, wenn das nachfolgende öffentliche Testament auf einem handschriftlichen Testament aufbaute. Das ist zu weitgehend. Die Erbfolge richtet sich dann nach dem privatschriftlichen Testament, ein Erbschein ist erforderlich. Eine andere Frage kann allenfalls dahin gehen, ob nicht das (nachfolgende) öffentliche Testament im Sinne einer tragenden Erbeinsetzung auszulegen sein kann – dann müssen aber zumindest die Erben und Erbquoten benannt sein. Bei dieser Frage geht es um die auch sonst erforderliche Feststellung der Wirksamkeit bzw. des Widerrufenseins eines Testaments. Diese Einschätzung ist im Grundsatz vom GBA zu erwarten. Die Feststellung, dass ein eröffnetes privatschriftliches Testament nicht für die Erbfolge maßgeblich wird, kann somit das GBA ungeachtet der Beschränkung in § 35 GBO treffen.
Rz. 97
Beruht die Erbfolge, die in das Grundbuch eingetragen werden soll, auf einem notariellen Testament und hat der Erblasser mit seinem Ehegatten vor diesem Testament ein gemeinschaftliches eigenhändiges Testament errichtet, so obliegt dem GBA auch die Auslegung dieses Testaments zu der Frage, ob die Wirksamkeit der späteren Erbeinsetzung von der Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments berührt wird. Das nachfolgende öffentliche Testament ist für die Erbfolge maßgeblich (dann Abs. 1 S. 2 anwendbar), wenn sich – auch unter Hinzuziehung gesetzlicher Auslegungsregeln – aus dem gemeinschaftlichen privatschriftlichen Testament keine Bindungswirkung ergibt. Ist die nachfolgende Erbeinsetzung wegen vorrangiger Bindung des gemeinschaftlichen Testaments hingegen unwirksam oder bleiben zumindest Zweifel über den Bestand einer Bindungswirkung bestehen, muss das GBA auf der Vorlage eines Erbscheins bestehen.
Rz. 98
Nur wenn die Klärung dieser Frage weitere tatsächliche Ermittlungen über den Willen des Erblassers und seines Ehegatten erforderlich macht, ist das GBA berechtigt und verpflichtet, zum Nachweis der Erbfolge einen Erbschein zu verlangen. Geht das privatschriftliche Testament nach, so verliert die öffentliche Urkunde ihre Eigenschaft als Eintragungsgrundlage. Ein Widerspruch ist nicht gegeben, wenn nach Auslegung des privatschriftlichen zweiten Testaments keine Zweifel am Fortbestand der im ersten öffentlichen Testament enthaltenen Erbeinsetzung bleiben.
Ein bloßes privates Testament in Verbindung mit der Eröffnungsniederschrift genügt zum Nachweis des Bestehens eines Vermächtnisanspruchs bei dessen Erfüllung durch den nicht befreiten Vorerben. Die Zustimmung des Nacherben ist dann nicht erforderlich.
Rz. 99
In der umgekehrten Reihenfolge – erst öffentliches gemeinschaftliches Testament/Erbvertrag, nachfolgend einseitiges privatschriftliches Testament – muss das GBA die Unwirksamkeit des späteren privatschriftlichen Testaments anhand der ausdrücklichen Aussage des öffentlichen Testaments zur Bindungswirkung sowie unter Anwendung des § 2270 Abs. 2 BGB feststellen. Führt dies zu dem eindeutigen Ergebnis, dass das nachfolgende Testament unwirksam ist, kann kein Erbschein verlangt werden.