Entscheidungsstichwort (Thema)

Entbehrliche Feststellungen zum Wirkstoffgehalt von Betäubungsmitteln. Verschlechterungsverbot und nachträgliche Gesamtstrafenbildung

 

Orientierungssatz

Orientierungssätze:

1. Von genaueren Feststellungen zum Wirkstoffgehalt des verfahrensgegenständlichen Rauschgifts kann ausnahmsweise abgesehen werden, wenn es ausgeschlossen ist, dass eine genaue Angabe des Wirkstoffgehaltes das Strafmaß zu Gunsten des Angeklagten beeinflussen kann.

2. Bei Kleinstmengen von Buprenorphin kommt dem Wirkstoffgehalt keine bestimmende Bedeutung für die Strafbemessung zu.

3. Die Prüfung des Verschlechterungsverbots nach § 331 Abs. 1 StPO im Hinblick auf eine gegebenenfalls zu bildende nachträgliche Gesamtfreiheitsstrafe entzieht sich einer schematischen Beurteilung. Zur Klärung, ob dem Verurteilten durch die Entscheidung der Vorinstanz tatsächlich ein Vorteil entstanden ist, muss gegebenenfalls der konkrete Vollstreckungsstand einer nachträglich einzubeziehenden Geldstrafe zum Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung festgestellt werden.

 

Normenkette

BtMG § 29 Abs. 1; StGB §§ 46, 55; StPO § 331 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Berlin (Entscheidung vom 20.09.2022; Aktenzeichen (567) 273 Js 6686/21 Ns (90/20))

 

Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 20. September 2022, soweit von der nachträglichen Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe nach §§ 55 Abs. 1, 53 Abs. 2 Satz 2 StGB abgesehen wurde, aufgehoben.

2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hat den Angeklagten am 27. Juni 2022 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wurde dabei nicht zur Bewährung ausgesetzt. Von der Bildung einer nachträglichen Gesamtfreiheitsstrafe mit der gesamtstrafenfähigen Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 15 Euro aus dem seit dem 11. Dezember 2021 rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgericht Tiergarten vom 26. Oktober 2021 hat das Gericht nach § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB abgesehen.

Gegen das Urteil hat der Angeklagte form- und fristgerecht Berufung eingelegt, die das Landgericht Berlin mit Urteil vom 20. September 2022 verworfen hat. An der nachträglichen Bildung einer Gesamtstrafe sah sich das Berufungsgericht wegen des Verschlechterungsverbots gehindert.

Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten form- und fristgerechten Revision. Mit der umfassend erhobenen Sachrüge macht er insbesondere geltend, das Landgericht habe rechtsfehlerhaft die Strafaussetzung zur Bewährung nicht gewährt, indem es die Implikationen der erstmaligen Strafhaft und eines möglichen Bewährungswiderrufs nicht hinreichend bedacht habe.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision des Angeklagten gem. § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

II.

1. Soweit sich die Revision gegen den Schuldausspruch und die Festsetzung der Freiheitsstrafe von sechs Monaten richtet, ist sie nach § 349 Abs. 2 StPO unbegründet.

Die Prüfung des Urteils auf die erhobene Sachrüge deckt insoweit keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf.

a) Die Beweiswürdigung der Strafkammer ist rechtsfehlerfrei. Gemäß § 261 StPO ist die Beweiswürdigung Sache des Tatrichters (vgl. BGH NStZ 2009, 284). Es obliegt allein ihm, die für den Urteilsspruch relevanten Tatsachen und Erfahrungssätze festzustellen, in ihrer Beweisbedeutung zu bewerten und sich auf dieser Grundlage eine Überzeugung zu bilden (vgl. BGH NStZ 2009, a.a.O.). Das Revisionsgericht hat die Beweiswürdigung des Tatrichters grundsätzlich hinzunehmen und sich auf die Prüfung zu beschränken, ob die Urteilsgründe Rechtsfehler enthalten (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 65. Aufl., § 337 Rn. 26 m.w.N.). Rechtsfehler sind in sachlich-rechtlicher Hinsicht dann gegeben, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (vgl. BGH NJW 2019, 945 m.w.N).

Dass die vom Tatgericht gezogene Schlussfolgerung nicht zwingend ist, ist revisionsrechtlich unschädlich; es reicht aus, dass die gezogenen Schlüsse möglich sind (vgl. BGH NJW 2019, a.a.O.; Senat, Urteil vom 18. Januar 2022 - (3) 121 Ss 138/21 (59 - 60/21) -, juris).

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hält die Beweiswürdigung des Landgerichts sachlich-rechtlicher Nachprüfung stand. Die Strafkammer hat sich die Überzeugung von der Tat sowie der Täterschaft des Angeklagten rechtsfehlerfrei aufgrund einer Gesamtwürdigung aller für die Beweiswürdigung bedeutsamen Umstände verschafft.

Der Angeklagte, der sich seit dem 24. März 2022 in Strafhaft befindet, hat sich im Wesentlichen dahin eingelassen, dass er am 14. September 2021 von seinem be...

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