Leitsatz (amtlich)
1. Die Beschwerde gegen die Festsetzung der aus der Staatskasse wegen anwaltlicher Beratungshilfetätigkeit zu gewährenden Vergütung ist, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 EUR nicht übersteigt, nur statthaft, wenn sie das AG in dem auf die Erinnerung des Rechtsanwalts ergehenden Beschluss zulässt. Die Zulassung der Beschwerde kann nachträglich nicht erfolgen. Um eine nachträgliche Entscheidung handelt es sich aber nicht, wenn das AG das Verfahren auf Grund einer Anhörungsrüge weitergeführt und in dem darauf erlassenen Beschluss die Beschwerde zugelassen hat.
2. Bei einer Beratungshilfeangelegenheit für mehrere Auftraggeber kann eine erhöhte Geschäftsgebühr grundsätzlich auch dann anfallen, wenn der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit nicht derselbe war, weil es sich bei der Geschäftsgebühr nach RVG-Nr. 2503 nicht um eine Wert- sondern um eine Festgebühr handelt.
3. Ist Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit die Prüfung und Durchsetzung ausländerrechtlicher Interessen im Hinblick auf eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis der aus den Eltern und vier minderjährigen Kindern bestehenden Familie, so sind alle sechs betroffenen Personen Auftraggeber im Sinne von RVG-VV Nr. 1008. Es kommt nicht darauf an, wer im Beratungshilfeverfahren als Antragsteller bzw. ggü. dem Rechtsanwalt als Rechtssuchender aufgetreten ist.
4. Die Geschäftsgebühr nach RVG-VV Nr. 2503, erhöht nach RVG-VV Nr. 1008 für alle Auftraggeber, entsteht durch die Einsichtnahme in die Ausländerakten für alle von dem Rechtsanwalt vertretenen Personen, auch wenn im Folgenden nur für eine Person ein Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis gestellt wird.
Verfahrensgang
LG Berlin (Beschluss vom 29.09.2006; Aktenzeichen 82 T 317/06) |
AG Berlin-Wedding (Aktenzeichen 70a II 1920/05) |
Tenor
In Abänderung des Beschlusses des LG Berlin vom 29.9.2006 werden über die Kostenfestsetzung des AG vom 21.3.2006 hinaus weitere der Beschwerdeführerin aus der Landeskasse zu zahlende Gebühren und Auslagen i.H.v. 128,76 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Das AG erteilte am 24.5.2005 Herrn ... einen Berechtigungsschein für die Angelegenheit "Ausländerrecht - (unbefristete) Aufenthaltserlaubnis für sich selbst und Familie". Zu seiner Vertretung beauftragte ... die Beschwerdeführerin, die mit Schreiben vom 24.5.2005 Einsicht in die bei der Ausländerbehörde geführten Akten beantragte. Die Beschwerdeführerin ließ aus den übersandten Akten einzelne Ablichtungen fertigen und beantragte mit Schreiben vom 13.6.2005 für den minderjährigen Sohn ... die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis.
Auf Antrag der Beschwerdeführerin setzte das AG am 21.3.2006 109,62 EUR an Rechtsanwaltsgebühren und Auslagen fest. Den darüber hinausgehenden Antrag i.H.v. 128,76 EUR wies das AG mit der Begründung zurück, für die Vertretung mehrerer Familienmitglieder ggü. der Ausländerbehörde entstünden keine Erhöhungsgebühren nach RVG-VV 1008. Die hiergegen gerichtete Erinnerung wies das AG am 10.4.2006 unter Bezugnahme auf die vorgenannten Gründe aus der Festsetzung vom 21.3.2006 zurück. Mit Schriftsatz vom 9.5.2006 erhob die Beschwerdeführerin "sofortige Beschwerde", hilfsweise Anhörungsrüge mit dem Antrag das Verfahren fortzuführen. Das AG half dem Rechtsmittel mit Beschluss vom 23.6.2006 nicht ab und ließ die Beschwerde hiergegen zu; zugleich legte es die Akten dem LG vor. Das AG berief sich bei seiner Entscheidung auf einen Beschluss des LG Berlin vom 5.6.1996 (82 T 292/96,LG Berlin v. 5.6.1996 - 84 T 292/96,Rpfleger 1996, 464).
Nachdem die Beschwerdeführerin ihre Beschwerde trotz Hinweises des LG auf Bedenken an deren Zulässigkeit aufrecht erhalten hatte, hat das LG mit dem am 9.10.2006 zugestellten Beschluss vom 29.9.2006 die Beschwerde als unzulässig verworfen und die weitere Beschwerde zugelassen. Hiergegen wendet sich die Beschwerdeführerin mit ihrer am 23.10.2006 erhobenen weiteren Beschwerde, der das LG nicht abgeholfen hat.
II.1. Die weitere Beschwerde ist auf Grund ihrer Zulassung durch das LG statthaft, §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 6 S. 1 RVG. Sie ist auch zulässig, insb. ist sie rechtzeitig erhoben worden, §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 6 S. 3, Abs. 3 S. 3 RVG.
2. Die weitere Beschwerde ist auch begründet. Die angefochtene Entscheidung beruht auf einer Verletzung des Rechts, §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 6 S. 2 RVG, 546 ZPO. Das LG konnte die Erstbeschwerde nicht als unzulässig verwerfen. Zugunsten der Beschwerdeführerin sind weitere Gebühren i.H.v. insgesamt 128,76 EUR festzusetzen, was der Senat in eigener Kompetenz entscheiden kann, weil weitere Ermittlungen nicht erforderlich sind und die Sache zur Entscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO.
a) Allerdings ist es zutreffend, dass die Erstbeschwerde nur dann zulässig erhoben werden konnte, wenn sie das AG zugelassen hatte. Denn der Wert des Beschwerdegegenstands lag unter 200 EUR, vgl. §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 S. 1 und 2 RVG. Auch ist die Auffassung des LG nicht zu beanstanden, dass die Zulassung der Erstbeschwerde nicht nachträ...