Entscheidungsstichwort (Thema)
Isolierte Anfechtung eines Fahrverbots. Absehen vom Fahrverbot bei objektiv wenig gefährlichem Verhalten
Orientierungssatz
1. Da Fahrverbot und Geldbuße in einem Wechselwirkungsverhältnis zueinander stehen, ist eine isolierte Anfechtung des Fahrverbots unwirksam.
2. Ein in der konkreten Situation objektiv wenig gefährliches Verhalten kann Anlass geben, das Regelfahrverbot auf seine Erforderlichkeit zu prüfen.
Normenkette
StVG § 25 Abs. 1; BKatV § 4
Verfahrensgang
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 23.03.2021; Aktenzeichen 303 Owi 1521/20) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 23. März 2021 wird mit der Maßgabe verworfen, dass das Fahrverbot entfällt.
Die Landeskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Betroffenen insoweit entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht T. hat die Betroffene durch Urteil vom 23. März 2021 wegen eines qualifizierten Rotlichtverstoßes zu einer Geldbuße von 200,- Euro verurteilt, ein einmonatiges Fahrverbot angeordnet und eine Wirksamkeitsregelung nach § 25 Abs. 2a StVG getroffen.
Nach den getroffenen Feststellungen befuhr die Betroffene am 12. August 2020 mit einem von ihr geführten Pkw in B. die M. Straße in Richtung B. Straße. An der Kreuzung M. Straße/G. Straße bog sie nach links in die G. Straße ab und hielt zunächst vor der für sie geltenden Haltelinie bei Rot abstrahlender Lichtzeichenanlage (LZA) an. Nachdem sie die Fußgängerfurt querende Fußgänger durchgelassen hatte und die LZA für die Fußgänger wieder rot abstrahlte, überfuhr sie die Haltelinie. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die getroffenen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Betroffene mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Rechtsbeschwerde, mit der sie die die Anordnung des Fahrverbots betreffende Beweiswürdigung angreift und vorträgt, nach den getroffenen Feststellungen sei der Rotlichtverstoß nicht geeignet gewesen, Fußgänger konkret oder abstrakt zu gefährden.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde mit der Maßgabe zu verwerfen, dass das Fahrverbot entfällt.
II.
1. Zwar hat die Betroffene ihre Rechtsbeschwerde nicht ausdrücklich beschränkt. Der Senat hat ihr Vorbringen aber in seiner Gesamtheit nach Maßgabe von §§ 46 Abs. 1 OWiG, 300 StPO als isolierten Angriff auf die Anordnung eines Fahrverbots ausgelegt. Diese Rechtsmittelbeschränkung ist unwirksam. Denn Geldbuße und Fahrverbot stehen, wie sich aus § 4 Abs. 4 BKatV ergibt (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 30. Oktober 2001 - Ss (OWi) 502/01 -, juris), regelmäßig in einer Wechselwirkung zueinander, so dass eine Nachprüfung der einen Rechtsfolge nur unter Rückgriff auf die andere möglich ist (OLG Düsseldorf NJW 1993, 2063 f.; VRS 86, 353; 85, 379; 84, 46; OLG Karlsruhe ZfS 1992, 33; OLG Köln VRS 96, 289, 291; Hadamitzky in KK- OWiG 5. Aufl., § 79 Rdn. 144). Eine Beschränkung der Rechtsbeschwerde auf die Nebenfolge, namentlich eines Fahrverbots, ist aus diesem Grunde unwirksam. In der Folge unterliegt deswegen der gesamte Rechtsfolgenausspruch der Nachprüfung (vgl. BGHSt 24, 11; OLG Dresden a.a.O.; OLG Köln NZV 2001, 391; Hadamitzky a.a.O.).
2. Die aus den dargelegten Gründen als unbeschränkt eingelegt zu behandelnde Rechtsbeschwerde ist zulässig, hat in der Sache aber nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet (§§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 349 Abs. 2 StPO). Weder der Schuldspruch noch die Höhe der Geldbuße, die der Regelbuße nach Nr. 132.2 der Anlage zu § 1 Abs. 1 der BKatV entspricht, lassen Rechtsfehler zum Nachteil der Betroffenen erkennen.
3. Demgegenüber erweisen sich Urteilsgründe hinsichtlich des nach §§ 25 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2a StVG, 4 Abs. 1 BKatV in Verbindung mit Nr. 132.3 der Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatV angeordneten Fahrverbots als lückenhaft.
a) Die Bemessung der Rechtsfolgen liegt grundsätzlich im Ermessen des Tatrichters, so dass sich die Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht darauf beschränkt, ob dieser von rechtlich zutreffenden Erwägungen ausgegangen ist und von seinem Ermessen rechtsfehlerfrei Gebrauch gemacht hat (vgl. Senat DAR 2021, 99; VRS 137, 91; Beschluss vom 12. März 2019 - 3 Ws (B) 53/19 -, juris m.w.N.). Liegen - wie hier - die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Nr. 1 BKatV vor, unter denen ein Fahrverbot als regelmäßige Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme angeordnet werden soll, ist grundsätzlich von einer groben Pflichtverletzung des betroffenen Kraftfahrers im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG auszugehen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. November 1991 - 4 StR 366/91 -, juris m.w.N.). Der Tatrichter ist in diesen Fällen - nicht zuletzt auch unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung - gehalten, die Maßnahme anzuordnen. Gleichwohl obliegt es ihm, im Rahmen einer Gesamtwürdigung unter Abwägung der Umstände des Einzelfalls in objektiver und subjektiver Hinsicht zu bestimmen, ob das g...