Leitsatz (amtlich)
1. Die Regelung des Versorgungsausgleichs unterliegt, soweit nicht ausnahmsweise die EuGüVO anwendbar ist, dem nach Art. 17 Abs. 4 EGBGB berufenem Recht und nach der danach berufenen Rechtsordnung beurteilt sich auch die Inhalts- und Ausübungskontrolle gemäß § 8 Abs. 1 VersAusglG in Bezug auf eine von den Ehegatten abgeschlossene Vereinbarung über den Versorgungsausgleich.
2. Wenn eine formal wirksame Vereinbarung der Ehegatten über den Versorgungsausgleich der Inhalts- und Ausübungskontrolle nach § 8 Abs. 1 VersAusglG nicht standhält, ist der Versorgungsausgleich vom Familiengericht von Amts wegen entsprechend den gesetzlichen Regelungen durchzuführen.
3. Im Rahmen der materiellen Wirksamkeitskontrolle einer ehevertraglichen Vereinbarung zum Versorgungsausgleich ist zu prüfen, inwieweit durch die Vereinbarung Regelungen aus dem Kernbereich des gesetzlichen Scheidungsfolgenrechts abbedungen werden und ob hierfür ggf. eine angemessene Kompensation erfolgt. Sodann hat eine umfassende Prüfung der Vereinbarung anhand aller Umstände des Einzelfalles zu erfolgen, bei der u.a. die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Ehegatten, der "Zuschnitt" ihrer Ehe, die Auswirkungen der Vereinbarung, die aufenthaltsrechtlichen Verhältnisse eines ausländischen Ehegatten sowie der Zweck, den die Ehegatten mit der Vereinbarung verfolgt haben, zu berücksichtigen sind.
4. Wenn bei Abschluss einer Vereinbarung zum Versorgungsausgleich die ausländerrechtliche Rechtsposition eines Ehegatten, falls es in diesem Zeitpunkt zur Trennung und Scheidung kommen sollte, völlig ungesichert ist, spricht das für ein strukturelles Verhandlungsungleichgewicht zu Lasten dieses Ehegatten und ist im Rahmen der Wirksamkeitskontrolle zu würdigen.
5. Der Hinweis eines Ehegatten, sowohl er als auch der andere Ehegatte seien "sowjetisch sozialisiert und erzogen" und deshalb von der Erwartung einer beiderseitigen Vollzeitberufstätigkeit während der Ehe durchdrungen gewesen, rechtfertigt noch nicht die Annahme einer gleichberechtigten Partnerschaft "auf Augenhöhe", wenn sich aus den objektiven Umständen ein Anderes ergibt.
Verfahrensgang
AG Berlin-Schöneberg (Aktenzeichen 85 F 191/20) |
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Ausspruch zum Versorgungsausgleich in dem am 3. Februar 2023 verkündeten Scheidungsverbundbeschluss des Amtsgerichts Schöneberg - 85 F 191/20 - wird auf dessen Kosten nach einem Beschwerdewert von 3.695,89 EUR zurückgewiesen.
Gründe
I. Der Antragsteller, ein aus M... in der südlichen Ukraine stammender deutscher Staatsangehöriger, wendet sich gegen den Ausspruch zum Versorgungsausgleich in dem vom Familiengericht am 3. Februar 2023 verkündeten Scheidungsverbundbeschluss, mit dem die Ehe der Beteiligten auf seinen Antrag geschieden und der Versorgungsausgleich entgegen seinem Antrag, diesen nicht zu regeln, den gesetzlichen Bestimmungen entsprechend durchgeführt wurde.
Zur Begründung dafür, weshalb der Versorgungsausgleich nach den gesetzlichen Bestimmungen zu regeln sei, hat das Familiengericht darauf verwiesen, dass der vom Ehemann und der Antragsgegnerin, der Ehefrau - einer aus M... stammenden, belarussischen Staatsangehörigen, die den Ehemann 2009 über ein russischsprachiges Internetportal kennengelernt und mit ihm nach mehreren, in Osteuropa verbrachten Urlauben im August 2010 in Berlin die Ehe eingegangen ist - am ... Januar 2012 (UR-Nr. .../2012 des Notars ..., B...) abgeschlossene Ehevertrag unwirksam sei. Denn der dort vereinbarte kompensationslose Ausschluss des Versorgungsausgleichs, die Vereinbarung von Gütertrennung und die wechselseitigen Erklärungen der Ehegatten, auf die Zahlung von nachehelichem Unterhalt - vom Fall der Unterhaltsbedürftigkeit wegen Kinderbetreuung abgesehen - zu verzichten, seien sittenwidrig und damit nichtig, weil zwischen den vertragschließenden Ehegatten ein ganz erhebliches wirtschaftliches Gefälle bestanden habe und weil die Ehefrau nach den damals, bei Abschluss des Ehevertrages, geltenden ausländerrechtlichen Bestimmungen bei einer Ehescheidung, wenn sie seinerzeit - 2012 - ausgesprochen worden wäre, sich nicht länger im Inland hätte aufhalten dürfen, sondern Deutschland hätte verlassen müssen. Damit habe es der Ehemann aber in der Hand gehabt, seine Vorstellungen vom Ehevertrag einseitig gegen den Widerstand der Ehefrau durchzusetzen, die den Ehevertrag nicht habe unterzeichnen wollen. Deshalb seien die Hälfte der vom Ehemann in der Ehezeit - der Zeit vom 1. August 2010 bis zum 31. August 2020 - erworbenen Versorgungsanrechte, nämlich ein Anrecht in der gesetzlichen Rentenversicherung mit einem Ausgleichswert von 10,2974 Entgeltpunkten bzw. einem korrespondierenden Kapitalwert von 77.668 EUR und ein Anrecht der betrieblichen Altersversorgung mit einem Kapitalwert von 6.282,74 EUR, auf die Ehefrau zu übertragen, wohingegen von der Ehefrau die Hälfte des von ihr im gleichen Zeitraum erworbenen Anrechts - ein Anrecht in der gesetzlichen Rentenversicherung mit einem Ausgl...