Normenkette
StVG § 24 a Abs. 2; StVO § 36 Abs. 5 S. 1; OWiG § 46 Abs. 1; StPO § 136
Verfahrensgang
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 16.02.2009; Aktenzeichen (346 OWi) 3012 PLs 7/09 (14/09)) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 16. Februar 2009 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin zurückverwiesen.
Gründe
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen einer fahrlässig begangenen Verkehrsordnungswidrigkeit gemäß § 24 a Abs. 2 und 3 StVG zu einer Geldbuße von 300,- EURO verurteilt und ihm nach § 25 StVG ein Fahrverbot von einem Monat auferlegt. Zur äußeren Tatseite hat es festgestellt, dass im Serum der dem Betroffenen entnommenen Blutprobe 1,8 ng/ml THC, 49,4 ng/ml THC-Carbonsäure sowie 1,8 ng/ml 11-Hydroxy-THC nachgewiesen wurden. Zur inneren Tatseite hat es - nicht in den Feststellungen selbst, sondern im Rahmen der rechtlichen Würdigung (Seite 3 UA) - ausgeführt:
"Der Betroffene hat somit wissend, dass er am Abend zuvor Cannabis geraucht hat, aber hoffend, dass die Wirkstoffe des Cannabis inzwischen aus seinem Körper herausgetreten seien entsprechend § 24 a Abs. 2 und 3 StVG einer entsprechenden fahrlässig begangenen Ordnungswidrigkeit schuldig gemacht.
Der Einwand der Verteidigung, er habe nicht gewusst, dass er noch Wirkstoffsubstanzen in seinem Blut gehabt habe während der Fahrt und bei Fahrtantritt gehen fehl, da ihm bewusst gewesen war, am Tag zuvor Haschisch geraucht zu haben und in dieser Situation ein Kraftfahrzeug im öffentlichen Verkehr in Gang zu setzen."
Gegen das Urteil wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde. Er beanstandet das Verfahren und rügt die Verletzung sachlichen Rechts. Insbesondere hält er den Nachweis fahrlässigen Handelns für nicht erbracht.
Das Rechtsmittel hat bereits mit der Sachrüge - vorläufigen - Erfolg, so dass auf die Verfahrensrüge nicht eingegangen werden muss.
1. Die knappen Ausführungen des Urteils zum Vorwurf fahrlässigen Handelns halten der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
Fahrlässiges Handeln im Sinne des § 10 OWiG liegt vor, wenn der Täter die Sorgfalt, zu der er nach den Umständen und seinen persönlichen Fähigkeiten verpflichtet und im Stande ist, außer Acht lässt und deshalb entweder die Tatbestandsverwirklichung nicht erkennt bzw. nicht voraussieht - unbewusste Fahrlässigkeit - oder die Möglichkeit einer Tatbestandsverwirklichung zwar erkennt, aber mit ihr nicht einverstanden ist und ernsthaft darauf vertraut, diese werde nicht eintreten - bewusste Fahrlässigkeit (vgl. Gürtler in: Göhler, OWiG 15. Aufl., § 10 Rdn. 6).
Bezogen auf den Tatbestand des § 24 a Abs. 2 StVG bedeutet dies, dass dem Betroffenen nachzuweisen ist, dass er die Möglichkeit fortdauernder Wirkung des Cannabiskonsums entweder erkannt hat oder zumindest hätte erkennen können und müssen. Denn der Vorwurf der schuldhaften Tatbegehung bezieht sich nicht allein auf den Konsumvorgang, sondern auch auf die Wirkung des Rauschmittels zum Tatzeitpunkt. Fahrlässig handelt danach, wer in zeitlicher Nähe zum Fahrtantritt Cannabis konsumiert hat und sich dennoch an das Steuer eines Fahrzeugs setzt, ohne sich bewusst zu machen, dass der Rauschmittelstoff noch nicht vollständig unter den analytischen Grenzwert von 1 ng/ml (vgl. BVerfG NJW 2005, 349) abgebaut ist. Nicht erforderlich ist, dass sich der Betroffene einen spürbaren oder messbaren Wirkstoffeffekt vorgestellt hat oder zu einer entsprechenden exakten physiologischen und biochemischen Einordnung in der Lage war, zumal ein Kraftfahrer die Unberechenbarkeit von Rauschdrogen in Rechnung zu stellen hat (vgl. zu allem OLG Saarbrücken, NJW 2007, 309, 311; 1373, 1374; OLG Hamm NJW 2005, 3298, 3299; OLG Zweibrücken Blutalkohol 46 (2009), 99).
An der Erkennbarkeit der Wirkung des Rauschmittels kann es indes fehlen, wenn zwischen dem Zeitpunkt des Drogenkonsums und der Fahrt längere Zeit vergeht (vgl. OLG Frankfurt/M. NStZ-RR 2007, 249; 250; OLG Celle NZV 2009, 89).
Diesbezüglich enthält das angefochtene Urteil keine tragfähigen Ausführungen: Es leitet das Fürmöglichhalten der Fortdauer der Wirkungen des Drogenkonsums durch den Betroffenen allein aus dem Drogenkonsum selbst ab und unterliegt daher einem Zirkelschluss. Da es selbst davon ausgeht, dass der Drogenkonsum am Vortag - eine zeitliche Eingrenzung nimmt es nicht vor - stattfand, hätte es nähere Ausführungen dazu machen müssen, aufgrund welcher Umstände sich der Betroffene hätte bewusst machen können oder müssen, dass der Rauschmittelkonsum noch Auswirkungen hätte haben können (vgl. OLG Frankfurt a.a.O.; OLG Zweibrücken a.a.O.; OLG Saarbrücken NJW 2007, 1373, 1374).
Insoweit besteht daher noch tatrichterlicher Aufklärungsbedarf, der einer eigenen Entscheidung des Senats nach § 79 Abs. 6 OWiG entgegensteht. Dieser Aufklärungsbedarf besteht insbesondere in folgender Hinsicht: ...