Entscheidungsstichwort (Thema)
Straßenverkehrsstrafrecht: Absolute Fahrunsicherheit nach Konsum von Alkohol und Kokain
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Nachweis der absoluten Fahrunsicherheit infolge des Genusses anderer berauschender Mittel i.S.d. § 316 StGB lässt sich allein aufgrund eines positiven Wirkstoffspiegels im Blut nach dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft nicht begründen.
2. Da ein Grenzwerts für Drogen fehlt, reicht die Feststellung, die dem Angeklagten etwa 1 ½ Stunden nach der Fahrt entnommene Blutprobe habe einen Kokaingehalt von 8,2 ng/ml sowie dessen Abbauprodukte (Benzoylecgonin) ergeben, weder allein noch im Zusammenhang mit einer festgestellten Alkoholkonzentration von 0,67 % aus, um eine absolute Fahrunsicherheit feststellen zu können. Bei Alkoholwerten unter 1,1 % ergibt auch eine "Addition" des Alkohol- und des Drogenwerts unabhängig von dessen Höhe keine absolute Fahruntüchtigkeit.
3. Relative Fahruntüchtigkeit ist in einem solchen Fall nur dann anzunehmen, wenn erkennbares äußeres Verhalten des Fahrers wie Ausfallerscheinungen während oder nach der Tat, das rauschbedingte Enthemmung oder Kritiklosigkeit erkennen läßt, oder Verhaltensauffälligkeiten bei der ärztlichen Untersuchung auf eine durch den Alkohol-/Drogenkonsum hervorgerufene Fahruntüchtigkeit hindeuten.
4. Bei einem Blutalkoholgehalt über 0,5 Promille sowie einem nachgewiesenen Gehalt von 242,7 mg/ml an Benzoylecgonin infolge von Kokainkonsum liegt ein tateinheitlich begangener Verstoß gegen § 24a Abs. 1 und Abs. 2 StVG vor.
5. Im Rahmen der Bußgeldbemessung ist unter Anwendung des zur Tatzeit geltenden Bußgeldkatalogs der höchste der jeweils in Betracht kommenden Regelsätze anzuwenden, der bei vorsätzlicher Tatbegehung angemessen zu erhöhen ist.
6. Wegen des vorsätzlichen Handelns unter der Einwirkung von Alkohol und Kokain ist daneben die Verhängung eines Fahrverbots unverzichtbar und läßt sich auch nicht durch eine weitere Erhöhung der Geldbuße vermeiden.
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 27.09.2001; Aktenzeichen (571) 34 Ns 102 PLs 665/01 (156/01)) |
Tenor
BESCHLUSSAuf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 27. September 2001
a) im Schuldspruch dahin berichtigt, daß der Angeklagte einer vorsätzlichen Ordnungswidrigkeit nach § 24 a Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 StVG schuldig ist,
und
b) im Rechtsfolgenausspruch dahingehend abgeändert, daß der Angeklagte wegen der Ordnungswidrigkeit zu einer Geldbuße von 450,-- EUR verurteilt und ihm für die Dauer von einem Monat verboten wird, im Straßenverkehr Kraftfahrzeuge jeder Art zu führen.
Die weitergehende Revision des Angeklagten wird nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen.
Eine Entschädigung wegen der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis steht dem Angeklagten nicht zu.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Straßenverkehr zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 30,-- DM verurteilt, ihm die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und bestimmt, daß vor Ablauf von acht Monaten keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden darf. Das Landgericht hat die Berufung des Angeklagten verworfen. Seine Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt, führt zu einem Teilerfolg.
Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf die Sachrüge - die auf die Verletzung der Aufklärungspflicht zielende Verfahrensrüge ist nicht hinreichend ausgeführt - deckt auf, daß die Feststellungen die Bewertung, der Angeklagte sei zur Tatzeit im Sinne des § 316 StGB fahruntüchtig gewesen, nicht tragen. Dazu hat die Generalstaatsanwaltschaft Berlin in ihrer Stellungnahme vom 17. Januar 2002 zutreffend folgendes ausgeführt:
"1. Nach § 316 StGB macht sich wegen Trunkenheit im Verkehr strafbar, wer ein Fahrzeug führt, obwohl er infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen. Andere berauschende Mittel sind solche, die in ihren Auswirkungen denen des Alkohols vergleichbar sind und zu einer Beeinträchtigung des Hemmungsvermögens sowie der intellektuellen und motorischen Fähigkeiten führen (BGH VRS 53, 356). Dazu zählen grundsätzlich die ebenso wie Alkohol auf das zentrale Nervensystem einwirkenden, in § 1 BtMG aufgezählten Stoffe, mithin auch Kokain. Auch dieses Betäubungsmittel verschlechtert das Fahrverhalten in vorgenannter Weise erheblich (BGH a.a.O., OLG Düsseldorf VM 1999, 53). Diesem Umstand hat der Gesetzgeber nunmehr durch die Regelung des § 24 a Abs. 2 StVG Rechnung getragen.
a) Der Nachweis sog. "absoluter" Fahruntüchtigkeit aufgrund des Genusses "anderer berauschender Mittel" i.S.d. § 316 StGB läßt sich - anders als beim Alkoholkonsum - allein aufgrund eines positiven Wirkstoffspiegels im Blut nach dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft nicht begründen (BGHSt 44, 219, 222 = NJW 1999, 226), weil es insoweit an gesicherten medizinisch-naturwissenschaftlichen Er...