Leitsatz (amtlich)
1.
Die "Erstverbüßer-Regel" erfährt u.a. dann eine Einschränkung, wenn der Verurteilte mit Betäubungsmitteln handelte (hier Handel mit Ecstasy-Tabletten in erheblichem Umfang).
2.
Bei der Prognoseentscheidung gemäß § 57 StGB kann das Gericht auch Straftaten, die zwar noch nicht rechtskräftig festgestellt sind, die der Verurteilte aber mit hoher Wahrscheinlichkeit begangen hat, berücksichtigen. Die Unschuldsvermutung steht einer solchen Bewertung nicht entgegen.
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 31.03.2005; Aktenzeichen 546 StVK 983/05) |
LG Berlin (Entscheidung vom 12.06.2003; Aktenzeichen M 14 / 69 Js 191/02 VRs) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluß des Landgerichts Berlin - Strafvollstreckungskammer - vom 31. März 2005 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Der Verurteilte verbüßt zur Zeit eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten wegen fünffachen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge aus dem Urteil des Landgerichts Berlin vom 12. Juni 2003. Zwei Drittel der Strafe sind bereits verbüßt; das Strafende ist auf den 20. Juni 2007 notiert. Mit dem angefochtenen Beschluß hat es die Strafvollstreckungskammer abgelehnt, die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen. Mit seiner sofortigen Beschwerde (§ 454 Abs. 3 Satz 1 StPO) wendet sich der Verurteilte gegen die Ablehnung der Aussetzung der Vollstreckung der Reststrafe; außerdem begehrt er die Einholung eines Gutachtens nach § 454 Abs. 2 StPO.
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
Die Strafvollstreckung ist fortzusetzen. Der Senat teilt die Auffassung der Strafvollstreckungskammer, daß dem Beschwerdeführer die für eine vorzeitige Entlassung aus der Strafhaft erforderliche günstige Prognose (§ 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB) nicht gestellt werden kann.
1.
Für einen Erstverbüßer wie den Verurteilten spricht zwar grundsätzlich die Vermutung, daß die erste Vollstreckung einer Freiheitsstrafe ihn ausreichend beeindruckt und in Zukunft von weiteren Straftaten abhält (vgl. KG ZfStrVo 1996, 245 = NStZ-RR 1997, 27 und Beschluß vom 6. November 2002 - 5 Ws 533-534/02 -). Dieser Grundsatz erfährt jedoch eine Einschränkung, wenn der Verurteilte mit Betäubungsmitteln handelte. Der Beschwerdeführer hat in mehreren Fällen - zum Teil als Kurier - mit Ecstasy - Tabletten in erheblichem Umfang Handel getrieben und sich an solchen Taten beteiligt, obwohl er selbst nicht abhängig war. Angesichts der außerordentlichen Gefährdung, die derartige Taten für das Leben und die Gesundheit Dritter mit sich bringen, wiegt die Verantwortung, die die Vollstreckungsgerichte mit einer vorzeitigen Haftentlassung des Täters auf sich nehmen, besonders schwer (vgl. KG, Beschlüsse vom 23. Oktober 2002 - 5 Ws 569/02 - und vom 4. Oktober 2001 - 5 Ws 640/01 -).
Eine günstige Prognose ließe sich in diesen Fällen nur dann gewinnen, wenn Tatsachen vorlägen, die sicherstellten, daß der Beschwerdeführer seine charakterlichen Mängel soweit behoben hätte, um Tatanreizen künftig zu widerstehen. Allein der Wille, sich künftig an Gesetze zu halten, genügt nicht(vgl. KG NStZ-RR 2000, 170). Das ordnungsgemäße Vollzugsverhalten reicht hierfür nicht aus; denn daraus ergibt sich nur, daß der Gefangene sich unter den strengen Regeln des Vollzuges beanstandungsfrei verhalten kann. Für seine Führung in Freiheit lassen sich daraus keine tragfähigen Schlüsse ziehen (vgl. KG ZfStrVo 1996, 245 = NStZ 1997, 27 und Beschluß vom 22. April 1998 - 5 Ws 197/98 -). Maßgeblich ist vielmehr eine günstige Entwicklung während des Vollzuges, die von besonderem Gewicht sein muß. Dazu zählen etwa die Beseitigung von Defiziten im Sozialverhalten, vor allem die Behebung von tatursächlichen Persönlichkeitsmängeln, wie sie bei dem Beschwerdeführer zutage getreten sind. Dazu ist die aktive und erfolgreiche Auseinandersetzung mit den Taten und die Aufarbeitung ihrer Ursachen erforderlich. Davon kann nur gesprochen werden, wenn der Verurteilte sein Fehlverhalten angemessen beurteilen und sich die Taten hinsichtlich ihrer Ursachen, ihrer konkreten Bedeutung und ihren Folgen so bewußt gemacht hat, daß eine Wiederholung dieses oder eines anderen Gesetzesverstoßes wenig wahrscheinlich ist (vgl. KG, Beschlüsse vom 6. November 2002 - 5 Ws 533-534/02 - und vom 11. Februar 2002 - 5 Ws 55/02 -). Tatsachen für eine derartige günstige Entwicklung sind aber weder vorgetragen noch erkennbar. Dem Verurteilten ist es lediglich gelungen, sich den Bedingungen des Vollzuges anzupassen und formal seine Taten zu bereuen. Hieran ändert auch die Tatsache nichts, daß er Vollzugslockerungen bis zum 13. Juli 2005 beanstandungsfrei absolvierte. Umstände für eine günstige Entwicklung müssen feststehen; sie...