Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen des Widerspruchs (§ 72 Abs. 1 OWiG)
Leitsatz (amtlich)
1. Der Widerspruch nach § 72 Abs. 1 Satz 1 OWiG kann bereits im Vorverfahren oder mit der Einlegung des Einspruchs erklärt werden. Mit dem Eingang der Akten beim Amtsgericht entfaltet er seine Sperrwirkung für das Beschlussverfahren.
2. Ein auf diese Weise wirksam erklärter Widerspruch wird auch nicht dadurch unwirksam, dass das Amtsgericht im späteren Verfahren ankündigt, durch Beschluss entscheiden zu wollen, und der Betroffene dem nicht widerspricht. Vielmehr bedarf es in diesem Fall einer eindeutigen Rücknahme des zuvor erklärten Widerspruchs.
Ob eine Äußerung als Widerspruch zu bewerten ist, ist unter Berücksichtigung des konkreten Falls und namentlich des wirklichen Willens des Betroffenen und der Bedeutung seiner abgegebenen Erklärungen festzustellen. (Anschluss OLG Koblenz, Beschl. v. 11. Oktober 1990 - 2 S 360/90 NStZ 1991, 191)
4. Zwar kann ein Widerspruch im Grundsatz auch durch schlüssiges Verhalten erklärt werden. Die Auffassung, dass ein - gegebenenfalls substantiiertes - Bestreiten das Beschlussverfahren schlechthin sperre und sogar einer späteren Zustimmung die Rechtswirkung nehmen könne, teilt der Senat aber nicht. (Entgegen OLG Karlsruhe VRS 59, 136)
Normenkette
OWiG § 72 Abs. 1
Verfahrensgang
AG Berlin-Tiergarten (Entscheidung vom 24.01.2023; Aktenzeichen 343 OWi 1356/22) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 24. Januar 2023 wird verworfen.
Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Die Polizei Berlin hat gegen den Betroffenen, der durchgehend unter der im Rubrum bezeichneten Anschrift gemeldet gewesen ist, wegen eines Rotlichtverstoßes eine Geldbuße von 110 Euro festgesetzt. Das Amtsgericht Tiergarten hat dem Betroffenen am 17. November 2022 gegen Zustellungsurkunde und dem Verteidiger formlos mitgeteilt, dass der Einspruch "nach Aktenlage keine Aussicht auf Erfolg" habe. Zugleich hat die Abteilungsrichterin erklärt, es sei beabsichtigt, durch Beschluss nach § 72 OWiG zu entscheiden, sofern dem nicht widersprochen werde. Die Zustellung an den Betroffenen ist fehlgeschlagen, weil dieser, wie der Postdienstleister mitgeteilt hat, unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln sei. Hausermittlungen haben in der Folge das Gegenteil ergeben: Ein Polizeibeamter teilte mit, es befinde sich der Name des Betroffenen am Briefkasten, der ersichtlich auch geleert werde. Das Anhörungsschreiben vom 17. November 2022 ist durch den Beamten am 2. Januar 2023 in den Briefkasten eingelegt worden.
Am 24. Januar 2023 hat das Amtsgericht den Betroffenen durch Beschluss zu einer Geldbuße von 110 Euro verurteilt. Die Abteilungsrichterin hat verfügt, dass der Beschluss an den Betroffenen zugestellt werden soll, eine formlose Abschrift ist an den Verteidiger übersandt worden. Am 2. Februar 2023 hat der Verteidiger unter erstmaliger Vorlage einer schriftlichen Vollmacht dem Beschlussverfahren widersprochen, zugleich Wiedereinsetzung in die diesbezüglich versäumte Frist beantragt und Rechtsbeschwerde eingelegt. Zur Begründung der Wiedereinsetzung hat der Verteidiger behauptet, dass "der Betroffene sich zurzeit nicht in seiner Wohnung befindet", weshalb er die Zustellungen "nicht bestätigen" könne; die Anhörung zum Beschlussverfahren sei ihm jedenfalls sicher nicht zugestellt worden. Der angefochtene Beschluss konnte aber wiederum nicht an den Betroffenen zugestellt werden, weil dieser nicht zu ermitteln sei. Am 20. Februar 2023 hat die Abteilungsrichterin verfügt, der Beschluss solle an den Verteidiger zugestellt werden. Nachdem dieser den Empfang nicht bescheinigt hatte, ist er unter Übersendung eines neuen Empfangsbekenntnisses am 15. März 2023, wiederum erfolglos, gemahnt worden. Die Richterin hat in der Folge verfügt, der Beschluss solle gegen Zustellungsurkunde an den Verteidiger zugestellt werden. Am 29. März 2023 hat sie den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen. Die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde ist ohne Erfolg geblieben. Die Rechtsbeschwerde bleibt erfolglos.
1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 72 Abs. Abs. 1 Nr. 5 OWiG statthaft, sie ist auch im Weiteren zulässig. In Bezug auf die Behauptung des Betroffenen, das Anhörungsschreiben vom 17. November 2022 nicht erhalten zu haben, weil er sich "zurzeit nicht in seiner Wohnung befindet", verfehlt die darin zu erblickende Beanstandung der Versagung des rechtlichen Gehörs (§ 72 Abs. 1 Nr. 5 Alt. 2 OWiG) die nach §§ 79 Abs. 3 OWiG, 344 Abs. 2 Satz 2 StPO zu stellenden Anforderungen (vgl. BGHSt 23, 298) bei Weitem. Jedoch macht der Betroffene auch geltend, sein vorprozessuales Verhalten sei als Widerspruch im Sinne des § 72 Abs. Abs. 1 Satz 1 OWiG zu bewerten. Darin liegt die Behauptung, dem Beschlussverfahren rechtzeitig widersprochen zu haben (§ 72 Abs. 1 Nr. 5 Alt. 1 OWiG). Der Senat erachtet diese Rüge als zulässig erhoben, denn das Verfahrensgeschehen wird ausreichend darg...