Verfahrensgang
AG Berlin-Charlottenburg (Entscheidung vom 08.08.2022; Aktenzeichen 65 VI 230/21) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1 Ixxx Wxxx wird der Beschluss des Amtsgerichts Charlottenburg vom 8.8.2022 aufgehoben.
Gerichtskosten werden für das Beschwerdeverfahren nicht erhoben.
Gründe
Auf die zulässige Beschwerde der Beteiligten zu 1 war der Beschluss des Amtsgerichts Charlottenburg vom 8.8.2022, mit dem dieser Nachlasspflegschaft angeordnet und einen Nachlasspfleger bestellt hat, aufzuheben, da die Voraussetzungen für die Anordnung einer Nachlasspflegschaft nach § 1960 BGB nicht gegeben sind.
Die Beschwerde der Beteiligten zu 1 ist zulässig, insbesondere ist sie beschwerdeberechtigt, da sie mögliche Erbin ist und insoweit in ihren Rechten beeinträchtigt wird, § 59 Abs. 1 FamFG.
Die Beschwerde ist auch begründet. Nach § 1960 Abs. 1 Satz 1 hat das Nachlassgericht bis zur Annahme der Erbschaft für die Sicherung des Nachlasses zu sorgen, soweit ein Bedürfnis besteht. Nach S. 2 gilt dies auch, wenn der Erbe unbekannt oder wenn ungewiss ist, ob er die Erbschaft angenommen hat.
Zwar hat das Nachlassgericht zu Recht angenommen, dass die Erben unbekannt sind, weil die tatsächliche Erbfolge ungewiss ist. Ist das Testament vom 20.10.2020 echt, ist der Beteiligte zu 3 Alleinerbe und ist die Beteiligte zu 1 auf ihr Pflichtteilsrecht beschränkt. Ist das Testament unecht, ist die Beteiligte zu 1 voraussichtlich gesetzliche Alleinerbin. Da das Erbscheinsverfahren noch nicht abgeschlossen ist (der Senat hat das entsprechende Verfahren mit Beschluss vom 4.11.2022 an das Amtsgericht zurückverwiesen), steht nicht fest, wer Erbe geworden ist. Unerheblich ist dabei zunächst, wie lange diese Ungewissheit voraussichtlich noch dauern wird.
Es fehlt allerdings das nach dem Gesetz erforderliche Sicherungsbedürfnis.
Dieses Fürsorgebedürfnis ist zu bejahen, wenn ohne Eingreifen des Nachlassgerichts der Bestand des Nachlasses gefährdet wird (vgl. nur OLG Düsseldorf, Beschluss v. 23.12.2015, 3 Wx 127/14 Rn. 18; Burandt/Rojahn-Najdecki, Erbrecht 4. A., § 1960 BGB Rn. 6). Dieses Tatbestandsmerkmal soll der Gefahr von Auswüchsen der staatlichen und subsidiären Fürsorge begegnen (vgl. OLG Köln, Beschluss v. 8.5.2019, Rn. 13). Für die Annahme der Gefährdung bedarf es dabei konkreter Anhaltspunkte (OLG Düsseldorf, Beschluss v. 3.12.1997, 3 Wx 278/97, Rn. 15), beispielsweise dafür, dass das Aktivvermögen durch Wertverlust, Diebstahl, sonstige strafbare Handlung usw., Unterlassen der Geltendmachung von Ansprüchen und Forderungen oder Fehlen ordnungsgemäßer Verwaltung schrumpft (OLG Köln aaO Rn. 14). Allein der floskelhafte Verweis, dass zum Nachlass Immobilien gehören, genügt dabei regelmäßig nicht, wenn sich nicht konkret ergibt, dass diese einer besonderen Fürsorge bedürfen (OLG Köln, Beschluss v. 6.12.2017, Rn. 18). Das Sicherungsbedürfnis kann fehlen, wenn dringliche Nachlassangelegenheiten bereits von einer bevollmächtigten handlungsfähigen Person erledigt werden und missbräuchliche Verfügungen ausgeschlossen sind (BGH, Beschluss v. 17.7.2012, IV ZB 23/11, Rn. 25; KG, Urteil v. 3.8.1998, 12 U 2379/97; Staudinger-Mesina, BGB § 1960, Rn. 14), insbesondere bei Vorliegen einer postmortalen Generalvollmacht (NK-BGB/Walter Krug, Erbrecht 6. A., § 1960 BGB Rn. 14; OLG Stuttgart, Beschluss v. 22.5.2015, 8 W 147/15; Krätschel in Krätschel/Falkner/Döbereiner, Nachlassrecht 12. A., § 41 Rn. 56; MüKo-Leipold, BGB 9. A., § 1960 Rn. 26; Burandt/Rojahn-Najdecki, Erbrecht 4. A., § 1960 BGB Rn. 9; BeckOGK-Heinemann, § 1960 BGB Rn. 43; OLG München, Beschluss v. 16.8.2018, 31 Wx 145/18, Rn. 12). Dabei wird teilweise die Ansicht vertreten, dass es für die Annahme des Sicherungsbedürfnisses auch ausreichen kann, wenn zu befürchten ist, dass der Bevollmächtigte den Nachlass nicht neutral im Sinne aller in Betracht kommender Erben, sondern in erster Linie nur zugunsten einer Person verwaltet (BGH, Beschluss v. 17.7.2012 aaO; OLG Düsseldorf, Beschluss v. 23.12.2015, 3 Wx 127/14, Rn. 21; OLG Stuttgart aaO; OLG Karlsruhe, Beschluss v. 2.5.2003, 14 Wx 3/03). Umgekehrt fehlt ein Sicherungsbedürfnis in der Regel, wenn ein Ehegatte, Elternteil oder Abkömmling des Erblassers vorhanden ist, der die Erbschaft ordnungsgemäß verwaltet und vertrauenswürdig ist (vgl. Staudinger aaO § 1960 Rn. 14; MüKo-Leipold aaO, § 1960 BGB Rn. 26).
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist vorliegend das Sicherungsbedürfnis aufgrund der gesamten besonderen Umstände zu verneinen.
Zwar hat der Beteiligte zu 4 in seiner Funktion als Nachlasspfleger die der Beteiligten zu 1 erteilte postmortale Vollmacht (Bl. II/48 ff. d.A.) widerrufen. Dieser Widerruf dürfte auch wirksam sein. Dennoch ist ein konkret feststellbares Fürsorgebedürfnis für den Nachlass nicht gegeben.
Hinsichtlich der im Nachlass befindlichen Immobilien ist die Beteiligte zu 1 jeweils Miteigentümerin und hinsichtlich der Ixxx GmbH Mitinhaberin von Geschäftsanteilen (siehe vorgelegter Gesellschafterbeschluss vom 4.11.2020, Bl. I, ...