Leitsatz (amtlich)
"Zur Bindungswirkung einer auf § 102 EnWG gestützten Verweisung".
Verfahrensgang
Tenor
Das LG Berlin wird als das sachlich zuständige Gericht bestimmt.
Gründe
I. Die Klägerin nimmt die Beklagten mit der vor dem AG Charlottenburg erhobenen Klage auf Zahlung für Gaslieferungen i.H.v. 823,73 EUR in Anspruch. Die Beklagten haben sich damit verteidigt, dass die Klageforderung auf unwirksamen Preiserhöhungen beruhe. Die Klägerin hat in ihrer Replik die Ansicht vertreten, dass die Beklagten
Tarifkunden seien und ihr ein Recht zur Preiserhöhung nach § 4 AGBGasV zustehe.
Das AG hat die Parteien in der mündlichen Verhandlung am 2.7.2009 auf erhebliche Bedenken gegen die sachliche Zuständigkeit des AG nach
§ 102 EnWG hingewiesen und der Klägerin - die vorsorglich Verweisung an das LG beantragt hat - Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 16.7.2009 gegeben. Mit Schriftsatz vom 14.7.2009 hat die Klägerin die Ansicht vertreten, dass die Zuständigkeitsvorschrift des § 102 EnWG nur bei einem Streit über das "Ob" der Energiebeliferung, nicht jedoch im Falle einer Zahlungsklage gelte. Hierbei hat sie u.a. die Entscheidung OLG München vom 15.5.2009, AR (K) 7/09 angeführt.
Mit Beschluss vom 30.7.2009 hat sich das AG Charlottenburg für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das gem. § 102 EnWG sachlich zuständige LG Berlin verwiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Entscheidung des Rechtsstreits von einer nach dem EnWG zu entscheidenden Vorfrage i.S.v.
§ 102 Abs. 1 S. 2 EnWG abhänge, nämlich der Frage, ob die Beklagten Tarifkunden i.S.v. § 10 EnWG (1998) oder aber Sondervertragskunden seien. Nur im ersten Fall sei eine Preiserhöhung nach der AGBGasV möglich, während im Falle eines Sonderpreisvertrags § 3 der AGB der Klägerin einschlägig sei, der jedoch unwirksam sei (s. KG ZMR 2009, 280).
Nachdem die Akte im Zuge der Verweisung an die Kammer für Handelssachen des LG gelangt war, hat diese die Parteien mit Verfügung vom 7.9.2009 darauf hingewiesen, dass sie die Verweisung als willkürlich und nicht bindend ansehe, und hat den Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme gebeben. Mit Beschluss vom 21.9.2009 hat das LG Berlin sich für sachlich unzuständig erklärt und die Sache dem KG zur Zuständigkeitsbestimmung vorgelegt. Es meint, dass die Verweisung objektiv willkürlich sei, da ihr jede rechtliche Grundlage fehle. Das AG habe § 102 EnWG entgegen herrschender Meinung angewandt. Über die Wirksamkeit der Tariferhöhungen sei nach § 315 BGB und nicht nach Vorschriften des EnWG zu entscheiden. Der herangezogene § 10 EnWG 1998 (bzw. § 36 EnWG 2005) regele nur das "Ob" der Versorgung, nicht aber die Ausgestaltung des Vertrags der Höhe nach.
II. Das KG ist gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zur Bestimmung des zuständigen Gerichts berufen, nachdem sich das AG Charlottenburg und das LG Berlin mit nicht anfechtbaren Entscheidungen jeweils für sachlich unzuständig erklärt haben. Die Bestimmung ist vorliegend durch den Senat in seiner Eigenschaft als Kartellsenat zu treffen, da die gesetzliche Zuständigkeit der Kartellsenate gem. §§ 102, 106 EnWG derjenigen der allgemeinen Zivilsenate auch in Fragen der Zuständigkeitsbestimmung vorgeht (s. OLG München RdE 2009, 298).
Das LG Berlin ist auf Grund der Bindungswirkung des verweisenden Beschlusses nach § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO sachlich zuständig.
Eine Bindungswirkung entfällt wegen objektiver Willkür nicht bereits dann, wenn der Beschluss inhaltlich fehlerhaft erscheint, sondern erst, wenn ihm jede rechtliche Grundlage fehlt. Dies ist insbesondere der Fall, wenn er bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (s. BGH NJW-RR 2008, 370 m. N.). So liegt es vorliegend entgegen der Ansicht des LG nicht. Unerheblich ist zunächst, wenn der Beschluss einer herrschenden Meinung nicht folgen sollte, da eine Präjudizienwirkung dem deutschen Recht fremd ist (s. BGH NJW 2003, 3201, 3202; NJW-RR 2002, 1498, 1499). Maßgeblich ist, ob das verweisende Gericht eine sachbezogene, nachvollziehbare Begründung für seine Unzuständigkeit gibt (s. BGH, a.a.O.). Das ist vorliegend der Fall. Der Wortlaut des - hier allein in Betracht kommenden und vom AG herangezogenen - § 102 Abs. 1 S. 2 EnWG erfordert nur, dass die Entscheidung des Rechtsstreits "ganz oder teilweise von einer Entscheidung abhängt, die nach diesem Gesetz zu treffen ist". Das AG hat dieses Merkmal in seinem Verweisungsbeschluss in nachvollziehbarer Weise begründet. Die Einordnung des Vertrags als Tarifvertrag oder Sondervertrag ist entscheidungrelevant, da der Klägerin gegenüber Sondervertragskunden ein Preiserhöhungsrecht weder nach ihren (insoweit unwirksamen) AGB noch nach dem nicht einbezogenen § 4 AVBGasV zusteht (so KG ZMR 2009, 280 ff. und nunmehr BGH NJW 2009, 2662 ff. in einem anderen, ebenfalls die Klägerin betreffenden Fall). Die Ansicht des AG, dass die Entscheidung über die Einordnung des Vertrags nach dem EnWG "zu treffen" ist, erschei...